Liu Jianchao betritt den Raum mit der Ruhe eines Mannes, der vieles gesehen hat, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. In den weiten Hallen eines Hotels in Midtown Manhattan, während draußen der Verkehr niemals ruht, sitzt er zwischen seinen Delegationsmitgliedern, trägt einen schlichten, dunklen Anzug, der nichts von der Bühne hervorrufen will, auf der er sich bewegt. Sein Blick ist aufmerksam, fast eindringlich, ein Spiegelbild dessen, was oft als chinesische Diplomatie beschrieben wird: zurückhaltend, doch präzise, im Auftritt zurückgenommen, in der Bedeutung unverkennbar.
Die Nachricht von Liu Jianchaos Besuch in Washington und New York Anfang 2024 sorgt hinter den Kulissen für Aufregung. Eine stille Präsenz mit spürbarer Strahlkraft, wenn auch ohne das laute Spektakel, das man von Staatsmännern und -frauen kennt. In einer Zeit, in der das Verhältnis zwischen den USA und China von Spannung, Misstrauen und komplexen geopolitischen Schachzügen geprägt ist, mag es überraschend erscheinen, solche Wärme in seiner Begegnung zu sehen – doch hier sitzt nicht nur ein gesichtsloser Diplomat, sondern ein möglicher Architekt einer neuen Phase im Sino-amerikanischen Dialog.
Liu ist kein Unbekannter. Jahrgang 1963, mit einer langen Karriere im diplomatischen Dienst, von Informationsbüros in Brüssel über Ministeriumsflure in Peking bis hin zu Botschaftsräumen in Washington, hat er eine intime Beziehung zu beiden Seiten des pazifischen Dialogs kultiviert. Es ist eine Nähe, die nicht nur auf politischen Linien verläuft, sondern auch auf menschlichen Begegnungen. Während seiner ersten Station in Amerika, vor bereits zwei Jahrzehnten, habe er selbst oft am Grand Central Station Kaffee getrunken, erzählt eine Person aus seinem Umfeld, „nicht als Tourist, sondern als jemand, der die Stadt erleben wollte“. Diese Anekdote mag banal erscheinen, doch sie spricht von einer Weitsicht, die das politische Kalkül übersteigt.
Seine Ankunft in Washington ist geprägt von einer rätselhaften Mischung aus offizieller Höflichkeit und einer fast privaten Offenheit. Diskrete Treffen mit Kongressmitgliedern, Gespräche in zurückgezogenen Hinterzimmern, ein Austausch, der abseits von Kameras und Presseagenturen stattfindet. Ein Teilnehmer resümiert: „Man spürt, dass Liu nicht hier ist, um bloß zu verwalten, sondern um zu verstehen.“ Ein Satz, der in diesen Zeiten fast revolutionär klingt. Verstehen statt konfrontieren, zu hören statt zu antworten – eine leise Hoffnung, die gerade in der Beständigkeit vieler Konflikte selten erscheint.
Später, in New York, ein weiterer Schauplatz seines Aufenthalts, wo die Kontraste der Stadt zwischen Luxuswohnungen und Flüchtlingscamps, Lobbyistenbällen und Straßendemonstrationen kaum krasser sein könnten. Hier führt Liu Gespräche mit Think-Tanks, Wirtschaftsführern, aber auch mit Menschen, die täglich die Auswirkungen jener großen politischen Entscheidungen spüren. In einer kleinen Galerie Ecke East Village erzählt ein Kurator: „Er will nicht nur den offiziellen Diskurs, sondern auch die Geschichten, die unter der Oberfläche liegen.“ Das Interesse an Kunst und Kultur, das Liu zeigte, öffnet Türen zu einem Verständnis, das jenseits von Diplomatenjargon liegt.
Ein Moment schlägt sich dabei besonders ein: Bei einem Empfang im Asia Society Museum spricht Liu mit einer Gruppe junger Chinesischlernender, die sich auf eine Karriere im internationalen Kontext vorbereiten. Eine junge Frau fragt ihn, ob Diplomatie heute noch denselben Sinn habe wie früher. Liu antwortet mit einem leichten Lächeln: „Diplomatie bedeutet heute mehr denn je, Brücken zu bauen – nicht nur zwischen Staaten, sondern zwischen Menschen.“ Wenig später, im strengen Licht eines abendlichen Gesprächs mit einem US-Diplomaten, wiederholt er diese Kernbotschaft mit einer fast väterlichen Geduld.
Die Begegnungen, die Liu auf diesem kurzen Besuch arrangiert hat, klingen wie eine Collage aus Andeutungen und Nuancen, die mehr vermitteln, als groß verkündet wurde. Nicht laut, nicht mit Pomp, sondern mit einer Ruhe und einem Durchhalten, die in der heutigen Welt oft unterschätzt wird. Ein Nachhall von Zeiten, in denen Diplomatie noch ein stilles, geduldiges Ringen um Verständigung war – und vielleicht wieder werden muss.
In den Hallen des State Departments, wo offizielle Aussagen oft das Pulsieren der internationalen Beziehungen bestimmen, ist Liu als möglicher Kandidat für das Außenministeramt gehandelt worden. Die amerikanischen Beobachter sehen in ihm eine Figur, die den komplizierten Drahtseilakt zwischen nationalem Interesse und globaler Verantwortung meistern könnte. Doch die Frage bleibt: Was für ein China möchte Liu repräsentieren? Ein Land, das sich in der Rolle als Macht zentriert, oder eines, das seine Stimme zu einem Dialog einsetzt, der mehr ist als ein Machtpoker?
Vor dem Fenster seines Hotelzimmers zeichnen sich die Lichter der Stadt wie ein pulsierendes Netzwerk ab, in dem sich Macht, Hoffnung und Angst verweben. Liu Jianchao, der Mann, der die Bühnen dieses Netzwerks kennt, zeigt sich hier – nicht als Lautsprecher eines Systems, sondern als jemand, der im stetigen Gespräch bleibt. Seine Reise durch Washington und New York mag nur ein kleiner Abschnitt in einer langen Laufbahn sein, doch die Spuren, die sie hinterlässt, erzählen von einer Diplomatie, die ihren Takt neu ordnet.
Wenn er die USA verlässt und über den Atlantik zurückkehrt, bleibt eher ein Eindruck als eine Antwort – die leise Ahnung, dass zwischen den Zeilen des weltpolitischen Geschehens Geschichten gedeihen, die selten gehört werden. Dass manchmal die größte Wirkung gerade von denen ausgeht, die im Hintergrund operieren, mit der Ruhe eines Mannes, der das große Ganze nicht aus den Augen verliert. Die Worte selbst sind sparsam, die Wirkung dafür umso nachhaltiger – und die Welt schaut genau hin.