Die Reise durch ein Land, das man kaum zu fassen glaubt – China hautnah erleben auf Schienen
Kaum ist man aus dem Flughafen ausgebrochen, erreicht die Geschwindigkeit des chinesischen Lebens einen Sog, der unaufhaltsam alles mitzieht. Doch es sind nicht nur die pulsierenden Metropolen, die diese gigantische Nation so schwierig in ihrer Vielfalt und gleichzeitig überwältigenden Einheit zu fassen geben. Es ist die schiere Größe: Ein Land, in dem von Shanghai bis Chengdu, von Peking bis Guilin mitnichten nur zwei oder drei Stunden vergehen – in dessen Weite Zeit und Raum in den Wahrnehmungen amerikanischer Besucher regelrecht zu zerrinnen scheinen. Für viele, die das Reich der Mitte erstmals besuchen, steht fast am Anfang eine kleine, heimliche Sorge: Wie soll man sich darin bewegen? Wie in diesem gewaltigen Puzzle, dass sich über eine Distanz ausbreitet, die mit der eigenen Heimat kaum zu vergleichen ist? Und was bei dem Gedanken an eine mehrtägige Rundreise über verschiedene Städte oft kompliziert und mühsam klingt, wird in China zu einer Art Alltagserfahrung, die verblüfft, unterhält und auf eine ganz eigene Art beruhigt.
Der Hochgeschwindigkeitszug – in China eine ganz andere Dimension
China ist nicht nur das bevölkerungsreichste Land der Erde, es besitzt auch eines der modernsten und am besten ausgebauten Eisenbahnnetze der Welt. Schon bei der Ankunft in den Großstädten zeigt sich: Die Bahnhöfe in Peking, Shanghai oder Guangzhou sind architektonische Meisterwerke, gewaltige Tempel der Geschwindigkeit. Vollautomatisch, dennoch freundlich und gleichzeitig effizient, schlanken Schalterreihen, durchdachte Wartebereiche – hier pulsiert die Zukunft des Reisens. Gebäude, deren moderne Glasfassaden in der Sonne leuchten, sind fast so beeindruckend wie die Züge selbst, die mit einer Lautlosigkeit und Präzision ausrücken, mit der man eher eine Maschine als ein Verkehrsmittel assoziieren würde.
Für einen amerikanischen Reisenden, oft geprägt von Erfahrungen mit Vertrögerungen, komplizierten Kontrollen und dem zwanghaften Anhängen an Mietautos, wirkt die Nutzung der chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge wie eine Befreiung. Das Ticket zu buchen, in der Regel online oder am Automaten, ist unkomplizierter als erwartet, die Verbindungen dicht, die Bedienung mehrsprachig – zumindest so gut, dass man sich nicht verloren fühlt. Und auch die schiere Pünktlichkeit verblüfft: Von einer Stadt zur nächsten schießt der Zug mit bis zu 350 km/h, während draußen die Landschaft wie ein zwar beeindruckendes, aber doch fremdes Gemälde vorbeizieht.
Zwischen Wolkenkratzern und Reisfeldern: Impressionen einer Zugfahrt
Man sitzt also da, auf einem bequem gepolsterten Sitz, leicht zurückgelehnt, mit einer Tasse grünem Tee in der Hand. Der Zug verlässt Shanghai, das urbane Gewimmel schwimmt in etwa 300 Kilometern Entfernung vorüber, verschwindet dann in einer Kulisse aus Reisfeldern, Hügeln, kleinen Dörfern mit ihren unverkennbaren Ziegeldächern. Es ist eine poetische Bewegung zwischen Gegensätzen: Hier die scharfkantigen Wolkenkratzer, dort die sanften, weichen Landschaften, die zu langsameren Zeiten zu gehören scheinen, die in stillen Momenten durch den Fensterrahmen eindringen. Die Ansicht könnte aus einem chinesischen Gedicht stammen – nur dass der Zug gnadenlos vorwärts rauscht und keinen Halt macht bei der Ruhe.
Man trifft andere Reisende, manche mit Businessoutfit, die über ihre Laptops gebeugt sind; andere, Familien mit Kindern, die freudig im Gang herumtollen. Eine ältere Dame teilt großzügig selbstgemachte Kleinigkeiten, während Fremde nicken und sich mit Händen und Füßen verständigen. Es ist eine Szene der Begegnung im Vorbeirauschen: Viele spüren, dass hier eine seltsame Mischung aus Effizienz und menschlicher Wärme wirkt, die man so selten in globalen Metropolen erlebt.
Kommunikation – zwischen Sprachbarrieren und miteinander Verstehen
Natürlich ist nicht alles leicht. Die Sprachbarriere bleibt ein Thema, vor allem wenn man in kleinere Bahnhöfe oder bei Landstopps aussteigt. Ein kleines Missverständnis hier, ein fragender Blick dort – die Szenerie wird dann fast zum Theaterstück, das sich aus Gesten, Lachen und selbstgekauften Snacks zusammensetzt. Doch erstaunlicherweise wächst oft die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, auch wenn das Wort nicht immer die Brücke baut.
Dieses Navigieren zwischen den Sprachen wirkt geradezu symbolisch für den gesamten Besuch in China: Ein Land, das sich nicht leicht versteht, das manchmal vorsichtig und zurückhaltend gen Westen schaut, das andererseits aber alles, was modern und schnell ist, mit großer Überzeugung und Ehrgeiz anpackt. Der Hochgeschwindigkeitszug ist mehr als nur technischer Fortschritt – er steht für die Hoffnung, Grenzen zu überwinden, vieles zu verbinden, und vielleicht auch für den Wunsch, dem Chaos eines so riesigen Landes mit einer neuen Ordnung zu begegnen.
Gegen den Strom der Unruhe
Eine Zugfahrt durch China bleibt dabei auch eine Gelegenheit für eine gewisse Kontemplation. Die Fahrt zwingt dazu, einen Moment innezuhalten, die rasante Welt draußen für einige Stunden auszublenden und sich auf das beschränkte kleine eigene Umfeld zu konzentrieren: Das Buch, das auf dem Schoß liegt, die Musik, die aus dem Kopfhörer dringt, den Gedanke an diejenigen, die noch in anderen Teilen dieses Landes unterwegs sind. Es ist ein Moment der Isolation und der gleichzeitigen Verbundenheit, die fast ein wenig melancholisch stimmt.
Vielleicht ist das auch der Kern dessen, was eine Reise durch China so besonders durcharbeiten lässt: das Gefühl, ständig zwischen Extremen zu leben, die sich nicht verflüssigen, sondern nebeneinander bleiben – alt und neu, laut und still, schnell und bedächtig. Und mitten drin dieser Zug, der das alles überwinden, durchbrechen und verbinden möchte, aber doch oft genug nur ein kurzer Transport in der Unübersichtlichkeit eines Landes von solcher Größe ist.
Am Ende steht die Erkenntnis: Sich wirklich in China zu bewegen, heißt mehr, als nur von A nach B zu reisen. Es ist eine Erfahrung des Wechselspiels von Bewegung und Stillstand, von Begegnung und Distanz. Der Hochgeschwindigkeitszug macht diese Erfahrung zugänglicher, ohne sie aufzuheben. Und das ist vielleicht das eigentliche Wunder – dass in einem Land, das so viele amerikanische Besucher zunächst mit Respekt und Scheu erfüllt, der Weg durchs Land mit einem Zug zu einer fast beiläufigen, fast vertrauten Angelegenheit wird. Ein kleines Stück Alltag in einer Welt, die immer wieder zum Staunen einlädt.