Jalan Mangga Dua, Jakarta. Zwischen den schmalen, staubigen Straßen verbergen sich Werkstätten, in denen täglich Tausende von Händen Kleider vernähen, Uhren zusammensetzen oder Winzlinge von Elektronikbauteilen auf Leiterplatten löten. Seit Jahrzehnten ist Indonesien einer der Hotspots der globalen Exportfertigung, ein Ort, an dem Mode, Technik und Heimprodukte entstehen, die in die ganze Welt geliefert werden. In dieser Industrie lag jahrelang eine Verheißung: dass Wohlstand sich gleichmäßiger verteile, Dörfer sich in Städte verwandelten, und Millionen aus der Armut emporschwebten, getragen von den Fäden der globalen Lieferketten.
Doch heute wirkt diese Erzählung ins Stocken geraten. Die Maschinen surren zwar weiter, das Band läuft, doch die Aufstiegsschancen scheinen auszubleichen. An einer Ecke der Straße sitzt Ibu Sari, Mitte fünfzig, eine Arbeiterin in einer Textilfabrik, die seit über 20 Jahren Kleider für den europäischen Markt näht. „Früher waren wir stolz“, sagt sie, die Hände ruhig in ihrem Schoß gefaltet. „Wir haben ein bisschen mehr verdient, konnten unsere Kinder zur Schule schicken. Aber jetzt stagnieren die Löhne. Die Preise steigen, und wir spüren kaum Fortschritt.“
Die einstige Erfolgsgeschichte vieler Schwellenländer – Indonesien, Vietnam, Bangladesch – ließ auf eine Welle des Wohlstands hoffen, die den Abstand zum Westen schnell schrumpfen ließ. Millionen fanden einen Weg in den Konsum; nicht nur durch materiellen Besitz, sondern durch Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, einer neuen sozialen Mobilität. Doch diese Dynamik hat sich verlangsamt, zum Teil gestoppt, eine Grenze erreicht, die sich nicht ohne weiteres überschreiten lässt.
„Die Märkte sind gesättigt, die Konkurrenz wächst,“ sagt Adi Putra, ein Wirtschaftswissenschaftler aus Jakarta. „Exportorientierte Produktion allein reicht nicht mehr, um die Ungleichheit zu verringern oder eine breitere Mittelschicht zu schaffen.“ Der Druck auf die Industriestandorte ist spürbar. Fabriken verlagern sich – teils in noch günstigere Länder, teils hin zur Automatisierung. Die Arbeitsplätze, die einst den sozialen Aufstieg ermöglichten, werden weniger, anspruchsvoller oder schlechter bezahlt.
In Semarang, einer Industriestadt auf Java, erzählt Rini, eine junge Näherin, von ihren Träumen. „Ich wollte Lehrerin werden, weil ich denke, Bildung ist der Schlüssel.“ Doch der Druck, die Familie zu unterstützen, war groß, der Arbeitsmarkt unsicher. „Die Fabrik ist eine Sicherheit, aber keine Zukunft.“ Viele ihrer Kollegen wollen Stadtviertel mit besseren Schulen, kleinen Geschäften, Freizeitmöglichkeiten – eine echte Konsumklasse eben. Doch solche „Lebensstile“ sind fragiler geworden.
Der Wandel, der durch den Export von Waren initiiert wurde, begann mit dem Versprechen der Teilhabe am globalen Wohlstand. Doch die Verlockung, das westliche Modell nachzuahmen, stößt zunehmend an Grenzen. Was ist der Wert von Konsum, wenn das Einkommen stagniert und soziale Spannungen wachsen? Workshops, Communities, kleine Unternehmer – all das boomt in den hinteren Straßen, während große Fabriken unverändert oder gar schrumpfend bleiben.
Auch die Politik spürt die Herausforderung. Die Regierung verfolgt nun ambitionierte Pläne, die Wirtschaft breiter aufzustellen, Innovation und digitale Transformation voranzutreiben. Doch zwischen den glänzenden Hochhäusern Jakartas und den textilen Werkstätten liegt eine Kluft. Zwischen der Globalität der Lieferketten und den Lebensrealitäten der Arbeiterinnen und Arbeiter. Zwischen dem Traum von Wohlstand und dem Alltag, der diesen Traum ausbremst.
Am Abend in einem kleinen Warung, einer Garküche, sitzen Arbeiter zusammen, teilen Reis, lachen und erzählen von besseren Tagen. Ein Fernseher hängt an der Wand, zeigt Berichte über wachsendes Bruttoinlandsprodukt und Fortschritte der Nation. Doch jemand murmelt: „Für wen wachsen sie eigentlich?“ Die Worte verhallen im Hintergrund der quirligen Straßen, während draußen Motorroller herbeieilen und die Lichter der Stadt funkeln.
Vielleicht ist das Exportwunder nicht aus der Welt – es verändert nur seine Gestalt. Zwischen Chancen und Grenzen, zwischen alten Fabrikhallen und aufstrebenden Start-ups, zwischen der Hoffnung auf Aufstieg und der Realität wachsender Ungleichheit liegt dieser Moment, der mehr ist als Statistik. Er erzählt von Menschen, die täglich neu austarieren, was es heißt, in einer Welt zu leben, in der Wachstum nicht mehr automatisch mit Gerechtigkeit einhergeht. Und von einer globalen Vernetzung, die sowohl Chancen als auch Fragen vergrößert.