In den neonfarbenen Nebeln der 1980er Jahre, mitten in einem Jahrzehnt, das sich zwischen Postpunk, Synthiepop und aufkeimender Clubkultur verhedderte, tauchten Talking Heads auf wie eine Mischung aus urbanen Propheten und leicht verrückten Kunststudenten. Ihr Sound war ebenso schwer greifbar wie ein Echo in einer U-Bahn-Station – kunstvoll, aber zugänglich, abstrakt und trotzdem tanzbar. Und obwohl ihre Karriere sich irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ein wenig entschleunigte, hinterließen sie Spuren, die bis heute pulsieren.
Die Band, um den charismatischen und oft rätselhaften Frontmann David Byrne, war immer mehr als ein reines Rockensemble. Es war ein Kaleidoskop kultureller Einflüsse, musikalischer Experimente und intellektueller Anspielungen, das sich in einer Reihe von Songs manifestierte, die genauso leichtfüßig wie tiefgründig schienen. Beginnen wir mit ihrem wohl größten Hit, der auf den ersten Blick doch ziemlich banal klingt: „Wild Wild Life“. Ein Song, der mit einer lässigen Rockattitüde und skurrilen Texten (denkt nur an „Ich trage Pelz-Pyjamas, ich reite eine heiße Kartoffel“) von Byrne stammt und zugleich die ironische Kulisse zu seinem kleines Stadt-Märchen True Stories bildet. Hier endet die Welt nicht abrupt, sie inszeniert sich selbst auf absurde Weise immer wieder neu.
Ganz anders wiederum das schwebende, fast pastoral anmutende „(Nothing But) Flowers“. Die Melodie gleitet vorbei auf einem afrokubanisch-französischen Groove, der sich anfühlt wie Joni Mitchells berühmter „Big Yellow Taxi“ für all jene, die ihr Paradies lieber im Parkhaus als im Regenwald verorten. Es ist eine ironisch-melancholische Betrachtung der Moderne und der verlorenen Natur, die – typisch Byrne – keine einfache Antwort anbietet, sondern Fragen offenlässt.
Schon drei Jahre zuvor formte sich das mythisch strahlende „What a Day That Was“. Ursprünglich für eine Tanzproduktion der Choreografin Twyla Tharpe geschrieben, katapultierte es Talking Heads durch ihr legendäres Live-Album Stop Making Sense in eine Klangdimension, in der Grenzen zwischen Theater, Performance und Konzert aufgelöst wurden. Es ist eine Momentaufnahme des Künsters, der sich an der Schwelle zu Selbstreflexion und kollektiver Ekstase zugleich befindet.
Den frühen Spaß am wilden Experiment verschaffte die Band ihren Songs schon seit den späten 70ern. „Life During Wartime“ etwa wirkt wie ein dystopisches Punk-Funk-Manifest, in dem David Byrne zwischen schießenden Kugeln und tanzenden Körpern den Sehnsuchtsort Disko imaginiert. Oder ihr Tribut an urbane Paranoia, „Psycho Killer“ — ein rasanter Stakkatoangriff, der unverhofft in Französisch übergeht und damit die deutsch-französisch-britischen Kunstideale der Szene humorvoll strapaziert. Eine geniale Verzahnung von Horrorfilmästhetik, New Wave und frühem Rap.
Das Funkige und die polyrhythmischen Klangstrukturen, die Talking Heads immer wieder neu erfanden, kulminieren etwa im hypnotischen „I Zimbra“ – einer Spurensuche jenseits von herkömmlichen Songtexten und -formen, inspiriert von den Dadaisten und den Rhythmen Afrikas. Robert Fripps Gitarrenspiel schneidet hier durch das klangliche Geflecht, als wäre er ein Fremder auf dieser musikalischen Expedition.
Und dann ist da natürlich „This Must Be the Place (Naive Melody)“ – ein fast schon intime Liebeserklärung, die mit ihrer naiven Synthesizermelodie ganze Generationen hinter sich versammelte. Byrne bezeichnete die Lyrics gern als zufällig und gleichzeitig ehrlich, was fast paradox, aber zutiefst menschlich klingt: In der Verlockung simpler Worte und Akkordfolgen offenbart sich eine Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit.
Analog zu diesen leisen Momenten gibt es die explodierende Epiphanie von „Burning Down the House“. Inspiriert von einer nächtlichen Funk-Session und am Leben gehalten von Steve Scales‘ fieberhaftem Trommelschlag, ist es eine euphorische Aufforderung zum Chaos – ein Funkenregen auf der Tanzfläche, der gerade in seiner kryptischen Unverbindlichkeit zum Ohrwurm wurde.
Die tiefgründige Ironie und der subtile Spott manifestieren sich auch in „The Big Country“, einem Track, der zwischen Respekt und Häme für die scheinbar langweilige Weite der amerikanischen Provinz pendelt. Byrne liefert hier eine Karikatur urbaner Vorurteile, die so schlau formuliert ist, dass man mit einem gewissen Schmunzeln zurückbleibt. Die ausufernde Ahnungslosigkeit des „Okie From Muskogee“-Mythos diesmal aus der Sicht der Großstadtjugend.
Was Talking Heads jedoch nie vergaßen, war die Kunst der Veränderung und des stetigen Neuanfangs. „Love → Building on Fire“ reflektiert noch die Architekturliebe Byrnes und bietet eine scharfsinnige Metapher auf emotionale Brandherde – alles in einem Sound, der so prägnant wie unwiderstehlich quirlig ist.
Am Ende aber ist es vielleicht die ambivalente Hymne „Once in a Lifetime“, die das Herzstück und Vorbild ihrer künstlerischen Laufbahn bleibt. Ein tanzbarer Existenzialismus, in dem Byrne seine Stimme wie ein Prediger erhebt, während der Rhythmus beschwörend pulsiert – ein musikalisches Tableau von Identitätskrisen im Zeitalter des Wirtschaftswunders und der Konsumgesellschaft. Es ist ein Lied, das so vielschichtig ist, dass es in zahllosen Covern und Remixen weiterlebt, jedem Neuzugang seine eigene Botschaft aufdrückt und trotzdem immer wieder zurückkehrt zum gleichen zentralen Moment: Jenem des Nachdenkens über das, was wir sind – und was wir sein könnten.
Talking Heads sind nicht nur eine Band, sie sind ein Spiegel einer sich rapide verändernden Gesellschaft, eine Art Kompass für die Suche nach Sinn in der Popkultur. Ihre Songs sind wie kleine Drehbücher urbaner Mythen, die mit Witz und Ernsthaftigkeit gleichermaßen gespielt werden. Wer sich darauf einlässt, entdeckt in ihnen mehr als nur Musik – eine Einladung, die Welt mit neugierigem Blick und tanzendem Fuß zu betrachten. Und genau das macht ihre zeitlose Magie aus.