Im Herzen von Gaza, wo die Straßen voll von Staub und Verzweiflung sind, zeigt sich das tägliche Ringen ums Überleben in all seiner Brutalität. Die alten Marktstände, früher lebendige Oasen des Handels und Austauschs, haben sich zu Schauplätzen eines erschütternden Überlebenskampfes verwandelt. Es geht nicht mehr um Handel, sondern um das, was am Ende des Tages reicht, um nicht zu verhungern.
Fatima, eine Frau Mitte vierzig, sitzt auf dem Boden vor einem halbvollen Plastiksack. „Das letzte Brot“, sagt sie fast flüsternd, als wäre die bloße Erwähnung gefährlich. Sie hat ihre Kinder mitgebracht, zwei kleine Jungen, deren Augen müde und hungrig zugleich sind. Sie versuchen unauffällig, an einem kleinen Stück Brot zu knabbern, das kaum mehr als ein Krümel ist. „Wir sammeln, was die Bomben hinterlassen“, erklärt sie, während hinter ihrem Rücken die Sirenen immer wieder heulen. Was hier „sammlen“ heißt, ist das Durchwühlen von Trümmern, von zerstörten Häusern, um Essbares oder Wasser zu finden – oft auch das, was schon vergiftet oder verdorben ist, aber die Alternativen fehlen.
Ahmed, ein knapp 30-jähriger Vater, zeigt auf eine Gruppe Menschen, die sich weiter unten an einem provisorischen Verteilpunkt versammelt hat. „Manchmal wird Wasser verteilt, aber meistens ist es knapp“, sagt er. Seine Stimme ist rau, das Gesicht von Erschöpfung gezeichnet. „Die Menschen stürmen los, wollen trinken, wollen ihren Durst stillen, bevor die Vorräte ganz aufgebraucht sind.“ Die Szenen wirken wie ein unentrinnbares Ritual – jedes Mal die gleiche panische Hast, das Gedränge, das Knäuel aus Körpern und Angst. Stampeden sind keine Seltenheit, Verletzte bleiben zurück, meist wird nicht angehalten.
Wenn Fatima erzählt, ist ihr Blick oft auf den Boden gerichtet, doch ihre Stimme trägt die Last von unzähligen Tagen, die beschwerlich und ohne Pause vergehen. „Manchmal kämpfe ich mit den Nachbarn ums letzte bisschen Essen“, sagt sie. Nicht selten ziehe das kleinste Stück Hoffnung in der gelungenen Essensbeschaffung scharfe Streitereien nach sich. Die soziale Struktur liegt in Trümmern, entfremdete Verwandte machen sich gegenseitig Vorwürfe, allerdings mit einem unsichtbaren Band von Schmerz verbunden. In einer Stadt, deren Infrastruktur zerstört ist, zerbricht auch das Vertrauen.
Kinder, die früher auf dem staubigen Schulhof spielten, haben ihren Platz verloren. Juman, sechzehn Jahre alt, schlägt die Hände vor den Mund, erwähnt die Schule nur noch als ferne Erinnerung. „Ich habe fünf Tage lang nichts gegessen, nur Wasser getrunken“, erzählt sie. Ihre Schulbücher liegen in ihrem Zimmer, doch zu essen hat Priorität. „Manchmal stehlen wir aus den Müllcontainern nach solchen Verpackungen, in denen noch Sachen sind.“ Die Qualen derjenigen, die diese Container durchsuchen, sind kaum in Worte zu fassen. Es ist ein Akt der letzten Hoffnung gegen den unvermeidbaren Hunger.
Es ist nicht nur der Mangel an Nahrung, der den Alltag bestimmt. Die Gewalt, die Luftangriffe, das stetige Geräusch von Explosionen weben sich unentwirrbar in das menschliche Bewusstsein ein. Es ist der permanente Hintergrund, der Angst und Entbehrung in gleichem Maße formt. Manchmal hat Ahmed den Eindruck, im Chaos werde verhindert, dass Menschen zusammenhalten: „Wenn du überleben willst, musst du an dich selbst denken, sonst zerbrechen sie dich.“ Was hier zählt, ist nicht Mut oder Gemeinschaft, sondern rohe Notwendigkeit – ein Überlebensinstinkt, der in die Isolation führt.
In den Gassen von Gaza liest man diese Geschichten in den Gesichtern, in den großen Augen der Kinder, die älter aussehen, als es ihr Alter vermuten lässt. Auch in den Händen der Alten, die zerbrechlich wirken, aber dennoch Plastikbeutel mit nur wenigen Lebensmitteln tragen. Das Leben hier heißt das Streifen in Trümmern, das Kämpfen um Wasser, der Zwang zu sammeln, das Vermeiden der eigenen Hungerattacken, während man den Sterbenden auf den Straßen ausweicht.
Die Verzweiflung bringt Menschen dazu, auf unvorstellbare Weise kreativ zu werden – kulinarisch und alltäglich. Man kocht suppeähnliche Breie aus Baumrinde oder altem Mehl, während das Gespräch um Ahmed herum immer wieder auf Versorgungen abschweift, die vielleicht, eventuell, irgendwo auf halbem Weg zur Stadt stattfinden könnten. Es gibt keine Sicherheit, keine verlässlichen Informationsquellen, nur die Geschichten, die sich in den schmalen Zwischenräumen wiederfinden, zwischen einem Tag, an dem man überlebt, und dem nächsten, der unsicher ist.
Am Ende sitzen sie da, die Menschen in Gaza, als eine neue Welle des Unvorhersehbaren heranrollt. Ihre Erschöpfung schreibt sich in Falten und Gesten. Es ist nicht der Pathos der Tragödie, sondern die stille Beharrlichkeit einer Bevölkerung, die inmitten von Zerstörung und Verzicht ein kleines Flackern von Hoffnung bewahrt. Doch jede Nacht bringt neue Fragen, und die Klarheit des Tages liegt einzig im Überleben – und im Hoffen auf einen Morgen, das kleinste Stück Brot, den einzigen Tropfen Wasser.