Im Schatten der maroden Straßen Berlins bewegt sich Yasmin Fahimi durch eine warme Spätsommersonne, die über den Platz vor dem Reichstagsgebäude blitzt. Sie genießt den Moment. Der städtische Lärm hinter ihr, das Flüstern der Blätter in einem nahegelegenen Park, alles scheint in Harmonie. Doch der Schein trügt. Der drängende Ruf nach Sozialreformen aus den höchsten Etagen der Politik verstärkt sich, während die Gewerkschaften sich rüstend aufstellen. Fahimi, die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), trägt die Verantwortung, das soziale Gleichgewicht nicht aus den Fugen geraten zu lassen.
Die Zeit drängt und die Politik nimmt an Fahrt auf. In Gesprächen wird deutlich, dass eine neue Ära der Einschnitte bevorsteht. Kanzler Olaf Scholz hat klare Vorgaben gemacht: Geld sparen, Reformen anstoßen. Auch der SPD-Chef Lars Klingbeil äußert sich mit Nachdruck. Sparen, das wird die Devise sein. Fahimi, eine unerschütterliche Verfechterin der Arbeitnehmerrechte, hört diesen Rufen mit kritischem Ohr. Sie sieht in ihnen eine Bedrohung für die Schwächsten in der Gesellschaft, für die, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen.
„Gutes Leben für alle“, erklärt sie in einem kleinen Café nicht weit vom DGB-Gebäude, die vollen Tassen vor ihr dampfen noch fröhlich, während die Diskussion über den Tisch hin und her schlägt. „Das ist kein Luxus, das ist eine Notwendigkeit. Ohne soziale Gerechtigkeit wird unser Zusammenleben brüchiger.“ Ihre Worte sind scharf, durchtränkt von einer langjährigen Überzeugung. Sie leidet mit jenen, die jeden Tag aufstehen müssen, um in prekären Verhältnissen zu kämpfen – um eine Wohnung zu bezahlen, um ihre Kinder zu ernähren oder um die alte Mutter zu versorgen.
„Man muss bereit sein, die Stimme zu erheben“, fährt sie fort, während sie die Handflächen zusammenlegt. „Es ist nicht nur eine Frage des Geldes; es ist eine Frage des Respekts, der Dignität. Es geht um Anstand in der gesellschaftlichen Beziehung.“ Fahimi hat in ihrer Karriere schon viel erlebt; als Politikerin, als Expertin für sozialpolitische Themen und als Stimme derjenigen, die oft nicht gehört werden. Mit jeder Anklage der Spitzenpolitik spricht sie für die, die in der Hinterhand stehen – für die Sozialarbeiter, die Alleinerziehenden, die Geringverdiener.
Ein kühler Wind zieht auf und weht durch das Café. Fahimi wirft einen Blick zum Fenster und beißt in ihr Croissant. Der DGB hat einen langen Sommer vor sich. Die Sommertour, bei der sie durch verschiedene Städte reist, ist mehr als eine Presseveranstaltung; es ist eine Mission. „Wir begegnen den Menschen, hören ihre Geschichten. Wir wollen verstehen, was auf dem Spiel steht,“ sagt sie, als sie von der letzten Station ihrer Tour erzählt: einem Stadtviertel in Leipzig, das stark von Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung betroffen ist.
Das Bild in den Gesichtern jener Menschen wird ihr nicht aus dem Kopf gehen. „Es sind nicht nur Statistiken, es sind echte Schicksale“, murmelt sie nachdenklich. „Ich habe einen alten Mann getroffen, der mir von seinen Träumen erzählt hat; der den ganzen Tag wartet, um die paar Euro zu verdienen, die er braucht, um seine Miete zu zahlen. Nichts wäre einfacher, als ihm die Unterstützung zu geben, die er braucht – aber es fehlt an politischem Willen.“
Fahimi ist eine Kämpferin, die nicht aufgibt. Ihr Blick ist warm, aber voller Entschlossenheit. „Wir müssen Angebote schaffen, die die Menschen tatsächlich unterstützen“, betont sie. „Die einfachen Lösungen über Sparmaßnahmen werden die Situation nur verschlimmern. Wir brauchen Innovationen, Investitionen und vor allem die Gewissheit, dass der soziale Frieden nicht durch das Streichen von Geldern gefährdet wird.“
Doch nicht nur das nötigt ihr einen ständigen Kampf ab. Auch innerhalb der Gewerkschaften wird diskutiert, ob man sich dem Druck der steuerlichen Verantwortung beugen soll. „Einige haben Angst, wir könnten als Geschäft nicht mehr politisch relevant sein, wenn wir nicht für Haushaltspolitik stehen. Aber das ist der falsche Weg“, sagt sie und lehnt sich vor. „Wir müssen sozusagen die Geschäftsführung der Menschenwürde übernehmen.“
Im Gespräch bricht der herannahende Abend herein. Lichtstrahlen durchbrechen die Baumwipfel, wispern durch die Blätter und zaubern goldene Reflexionen auf das Gesicht von Yasmin Fahimi. Die Atmosphäre um sie herum wechselt von einem geschäftigen Treiben zu einem ruhigen Abgesang. „Wir sind hier, um eine Stimme zu geben“, erklärt sie und schaut auf die Straße, wo Menschen in ihren verschiedenen Lebenswelten unterwegs sind. „Jeder von ihnen hat das Recht auf ein Leben in Würde.“
Mit einem letzten Blick auf die Boulevardcafés, aus denen fröhliches Lachen und Gespräche dringen, erhebt sie sich. Der Sommer, die Geschichte, die Fragen der Menschen – all das bleibt für sie ein ständiger Antrieb. Ihre Mission ist klar: Das soziale Gleichgewicht darf nicht kippen. Nicht in Berlin, nicht in Leipzig und schon gar nicht für einen alten Mann, der von seinen Träumen erzählen möchte, während er auf das nächste Stück Brot wartet.