Der Schatten des Preiskriegs: Handelsverband fordert Zölle gegen Temu und Shein
In einem kleinen Brandenburger Ort, wo die Stille der Felder nur von ratternden Lastwagen durchbrochen wird, sitzt Michael Becker in seinem Büro, umgeben von akribisch organisierten Produktmustern. Auf den ersten Blick wirkt es wie die heile Welt des deutschen Handels – voll von T-Shirts, regional produzierter Ware und vielversprechenden Marken. Doch der Schein trügt. „Das hier“, sagt Becker und deutet auf einen Stapel bunter Lätzchen, „das sind nur die Reste. Wir können uns gegen die Billigimporte nicht mehr wehren.“ Sein Ton ist frustriert, der Blick verloren in den Gedanken an eine Zeit, als euch immer noch der Stolz auf die eigene Marke in die Augen leuchtete.
Beckers Geschichte ist die vieler Einzelhändler, die in der schleichenden Bedrohung durch Plattformen wie Temu und Shein gefangen sind. Auf den ersten Blick erscheinen diese Online-Giganten als Aushängeschilder von Vielfalt und Erschwinglichkeit, die den Konsum revolutionieren. Doch hinter der schillernden Fassade verbirgt sich eine Realität, die ganze Branchen in Bedrängnis bringt. Der Handelsverband Deutschland (HDE) mahnt, nun seien drastische Maßnahmen nötig, um die heimischen Märkte zu schützen. Die Stimme von HDE-Chef Stefan Genth klingt dabei wie ein verzweifelter Schrei in der Dunkelheit des Handelskriegs.
Die Szenerie in Beckers Büro wird von einem kurzen Schweigen durchbrochen, als er die Worte „Kampf um die Existenz“ in den Raum wirft. Er erläutert, dass die kleinen und mittelständischen Betriebe nicht nur gegen die Preise, sondern auch gegen die enormen Vertriebskosten ankämpfen müssen, die die Onlineriesen effizient mit einem Fingerschnippen umgehen. Sogenannte „Zölle“ werden plötzlich mehr als nur ein wirtschaftliches Instrument; sie werden zu einem Schutzschild, hinter dem die kleinen Händler Zuflucht suchen.
Im benachbarten Berlin, wo das pulsierende Leben der Stadt mit kreativen Köpfen und innovativen Start-ups floriert, trifft ein weiterer Akteur, Lena Müller, ebenfalls auf die Schatten dieser neuen Einkaufskultur. Sie ist Inhaberin eines kleinen Boutiquenladens, der handgefertigte Mode verkauft. „Früher haben wir uns durch Qualität und Einzigartigkeit definiert. Was kaufen die Leute jetzt? Lätzchen für unter zwei Euro“, erklärt Lena und lächelt bitter. Das Lachen zuckte in ihren Zügen, als sie vom letzten Besuch in einem der großen Online-Shops berichtet und der schockierenden Erkenntnis, dass ihre gesamte Kollektion für den Preis eines einzigen T-Shirts von Shein erhältlich ist.
Die Konstanz der Schnäppchenjagd führt Kunden ungefragt ins Netz, wo sie oft nicht nur nach dem besten Preis suchen, sondern auch nach der schneidigen Anbieterbindung. Wie viele Klicks braucht es, um eine Kaufentscheidung zu treffen? Und welche psychologischen Tricks setzen diese Plattformen ein, um Kunden in ihren Bann zu ziehen? Lena ringt mit der Vorstellung, dass Konsumenten bei ihren Besuchen in herkömmlichen Läden vielleicht gar nicht mehr eine anständige Beratung oder nachhaltige Mode suchen. Das Streben nach dem tiefsten Preis hat längst die Philosophie des Handels verschlungen.
Während die Fragen an der Gesprächsfront sichtbar werden, bricht das Dilemma an einer anderen Front auf: der politischen. Gustaf Kleinschmidt, Wirtschaftsexperte im Bundestag, ist schnell zur Stelle, um die Bedenken des HDE zu reflektieren. „Die Zölle müssen kommen, ja“, spricht er, während der Kaffee dampfend zwischen uns steht. „Aber wir reden hier nicht nur über Zahlungen. Es geht um den wirtschaftlichen Zusammenhalt, um die soziale Verantwortung. Wenn wir nationale Marken abwerten, verlieren wir nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch unsere Identität als Handelsnation.“
Zwei Perspektiven stehen dann aufeinander: Die Geschäfte, die sich als bastionäre Kräfte der Traditionswirtschaft fühlen, und die digitalen Disruptoren, die keinen Halt vor der traditionellen Struktur machen. Während Becker von der „Rettung des deutschen Handels“ spricht, zeigt sich Klein, dass zunächst ein Umdenken stattfinden müsse. „Wo bleibt die Innovationskraft?“ fragt er und hält inne, als er seine eigenen Worte auf sich wirken lässt.
Auf den Straßen Berlins drängt sich die Masse der Konsumenten unter dem bunten Überangebot der Läden, unbemerkt von der Tragik, die hinter den Kulissen der Kaufverhandlungen brodelt. Die Stimmung ist unbeschwert, auch wenn die Realität im Hintergrund Sturm läuft. „Wir sitzen alle im selben Boot“, sagt Genth und weist auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Unternehmen hin.
„Das Wichtigste“, sagt Becker abschließend, während er durch das Fenster auf die Straße schaut, „ist, dass sich hier etwas ändern muss. Jeder klickt und scrollt, doch wir müssen die echte Verbindung wieder aufbauen. Und dafür brauchen wir einen Schutz – auch wenn es darum geht, das eigene Wohl über dem Schnäppchenparadies aufladen.“
Das kriegsähnliche Gefecht um die Preise steht erst am Anfang. Der kalte Schatten der chinesischen Billigimporte wirft sich über das gemäßigte Klima des Handels, und die Frage, ob wir die Wurzeln unserer Wirtschaft vor den beeindruckenden Angeboten aus Fernost schützen können, bleibt ungeklärt.