Graue Krater aus Beton, die Stadt zerfressen von den Narben eines undeutlichen Krieges: In den Trümmern Mariupols, Chersons oder Butschas wachsen Baustellen empor, die wenig mit dem Wiederaufbau im humanitären Sinne gemein haben. Stattdessen schiebt sich ein anderes Gesicht der Zerstörung ins Licht – das der Profiteure, die eng verknüpft mit dem Kreml die Häuserstümpfe in lukrative Goldgruben verwandeln.
Vor Ort, zwischen umgestürzten Hochhäusern und Wildpflanzen auf zerbombten Straßen, erzählt man sich Geschichten von Bauunternehmen, die wie Pilze aus der verwüsteten Erde sprießen. Unternehmen, deren Bilanzen mittlerweile eng mit den Schicksalen der Vertriebenen und Toten verknüpft sind. Es sind Firmen, deren Chefs oft genug nur hinter verschlossener Tür bekannt sind, deren Verflechtungen aber bis in die höchsten Kreise des russischen Staates reichen. Ein Netzwerk aus Beziehungen, Genehmigungen und Geldflüssen, das sich von Moskau über alle besetzten Gebiete ausbreitet.
In einem der provisorischen Sammellager für Vertriebenen erzählt ein Einwohner aus Mariupol, der anonym bleiben möchte: „Sie kommen, bauen neue Fassaden, aber nichts davon gehört uns. Es ist, als ob die Stadt langsam jemand anders wird.“ Er sieht auf die Abrissbirnen, die heute nicht einmal mehr verbliebene Ruinen stehen lassen, sondern gerade Flächen für Neubauten schaffen, die sich an einer architektonischen Sprache orientieren, die wenig mit der Geschichte der Region zu tun hat. Ein Kalkül, das mit der Umschreibung von Identität spielt, das Alte nicht nur zerstört, sondern aus seinem materiellen Gedächtnis herausradiert.
Die „Wiederaufbau“-Firmen, so belegen Recherchen internationaler Journalisten, operieren mit staatlicher Rückendeckung und in engem Kontakt zu Personen, die als Grenzwächter im unternehmerischen und politischen Netzwerk des Kreml bekannt sind. Manche von ihnen tauchen als Besitzer von Firmen auf, die bislang in weitgehend undurchsichtigen Sphären agierten – im Rohstoffhandel oder in der Immobilienbranche – und nun neuen Glanz an den Schauplätzen der Zerstörung versprechen. Dabei spreizt sich die Realität zwischen vermeintlichen Wohltaten und einer Form von wirtschaftlicher Prägung, die Entmietung, Umsiedlung und oft nutzlose Fassadenpolitik mit absichert.
In einem Büro in Simferopol, der Hauptstadt der Krim, empfängt ein Manager der sogenannten „Baukorporation Nord“ – einer der Schlüsselspieler dieses Wiederaufbaunetzwerks – seine Besucher mit einem Glas schwarzen Kaffees. „Wir bauen Zukunft“, sagt er. „Die Stadt muss nach vorn blicken, nicht zurück.“ Seine Sätze sind leise, zugleich aber durchdrungen von der Überzeugung politischer Legitimität, die in solchen Kontexten durch nichts erschüttert wird. Gleichzeitig scheint aber jede Frage nach dem Verbleib der früheren Bewohner unhörbar. Die neuen Wohnungen, die nach Plänen und CAD-Zeichnungen entstehen, sind für eine andere Zielgruppe konzipiert – nicht für die Vertriebenen, sondern für ausgewählte Einheimische und Zugezogene, die über eine Registrierung verfügen, welche den neuen Machtkonstellationen entspricht.
Dass dieser Umstand kaum öffentlich debattiert wird, liegt nicht nur am Informationsmonopol und der herrschenden Propaganda. Vielmehr empfehlen sich lange Abwesenheit und Verdrängung. Ein älterer Mann, der seine Wohnung in Charkiw erst vor wenigen Wochen zerstört sah, berührt die Kamera seines Mobiltelefons mit einem verbitterten Lachen: „Es gibt keine Heimat mehr, nur noch neue Orden am Revers derer, die sich am Leid bereichern.“ Solche Stimmen verhallen an den Kontrollstellen und Grenzübergängen schon seit Monaten, weil der Zugang für kritische Beobachter stark eingeschränkt ist und die Perspektiven der Vertriebenen kaum eine Bühne finden.
Der Blick auf die frontalen Baustellen allerdings zeigt den Mechanismus dieses Geschäfts: Während Millionen Menschen leben, als hinge ihr Dasein an einem Faden, wächst eine Bauindustrie wie kein anderer Sektor. Kräne drehen sich in endlosen Bewegungen über ehemaligen Wohnquartieren, in denen Kinder zuletzt spielten. Ein ungesprochenes Regelwerk bestimmt, wer dort bauen darf und für wen diese neuen Betonklötze – verkleidet mit polierter Fassade, moderner Isolierung und verlockenden Werbeprospekten – eigentlich vorgesehen sind.
Doch in diesem zynischen Kaleidoskop der Besatzung bleibt die Frage der Identität. Wer weiß denn noch, wie diese Städte wirklich aussahen, bevor der lodernde Schatten über sie fiel? Generationen von Erinnerungen wurden gestrichen, gerade so, wie Verwundete endgültig vergessen werden. Und die Firmen, die ihren Schnitt aus dem Schutt schlagen, nehmen sich das Recht, nicht nur Räume zu schaffen, sondern auch Geschichte umzugestalten. Ein Prozess, der viel zu oft am Rand der öffentlichen Wahrnehmung verläuft, wo kaum Zeit und Platz bleibt für Trauer, Wut oder Widerstand – nur Raum für neue Besitzansprüche.
So steht am Ende nicht nur ein physischer Wiederaufbau zur Debatte, sondern ein markanter Eingriff in ein soziales Gefüge, das ohnehin zerrissen ist. Die Milliarden, die hier eingesammelt werden, sind nicht nur Zahlen in Jahresabschlüssen. Sie sind Teil eines Spiegels, in dem sich eine Welt zeigt, die sich in der Fläche von Zerstörung behauptet – mit Mitteln des Kapitalismus, die längst nicht nur Menschlichkeit mit Profit vergleichen, sondern oft genug daraus Kapital schlagen.
Der Schatten einer verlorenen Heimat verliert sich zunehmend im neonbeleuchteten Glanze der Baukräne. Die Stimmen derjenigen, die hier nicht nur ein Zuhause, sondern auch eine Zukunft verloren haben, bleiben vorerst still – übertönt vom Rattern der Maschinen, vom Zirpen der Baumaschinen, von einem Projekt, das nicht nur baut, sondern auch Besitzansprüche neu definiert. Inmitten des Staubs und der Trümmer zeichnet sich eine Frage ab, die man sich kaum stellt, weil sie unbequem ist: Wem gehört eigentlich das Leben, wenn die Steine zu Gold werden?