Ein Stück New York, das um die Welt reist – als T-Shirt
Dimes Square. Ein Ort, der für Eingeweihte sofort ein Bild heraufbeschwört: enge Straßen gesäumt von kleinen Cafés, Bars und Boutiquen, ein gewisser schräger Glanz zwischen Hipster-Bohème und einer fast schon absichtlich heraufbeschworenen Düsterkeit. Ein Mikrokosmos von Manhattan, der schon seit Jahren gern als Gegenpol zum polierten, glatten Midtown inszeniert wird. Und plötzlich, ganz unerwartet, findet sich dieser kleine Stadt-Ausschnitt auf einem T-Shirt von H&M – einem Modegiganten mit Sitz in Stockholm.
Das Hemd trägt stolz den Schriftzug „Dimes Square“ und verspricht, „ein Stück New York in die Welt zu exportieren“, wie es jemand treffend formulierte. Es ist der Versuch eines globalen Massenprodukts, ein bisschen Lokalkolorit einzufangen, eine urbane Identität zur Schau zu stellen, die sich online besonders gut anfühlt. Der Markt für solche Botschaften ist riesig, für Nostalgiker, Trendbewusste und all jene, die gerne ein bisschen Insiderwissen auf der Brust tragen. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn man sich ausgerechnet „Dimes Square“ überstreift? Und wie landete dieser Name auf einem massentauglichen Shirt, das in Windeseile ausverkauft war?
Das Bild des T-Shirts kursiert seit Tagen im Netz: klar, schnörkellos, doch gerade dadurch unfassbar prägnant. Daneben ein anderes Modell, das Straßennamen aus Lower Manhattan auflistet – Canal, Ludlow, Division – wie eine charmante Hommage an einen Stadtteil, der sich mehr und mehr als Gesinnungsmarke etabliert hat. Es ist fast, als würde man eine Art urbane Schatzkarte tragen, von der nur Eingeweihte wissen, dass sie eben kein touristischer Hotspot sondern ein Erlebnis mit subtil ironischem Augenzwinkern ist.
Doch die Rezeption dieser Kleidungsstücke – und das ist das Erstaunliche – fällt alles andere als ungetrübt aus. Im Schatten der sozialen Medien formiert sich eine Welle von Memes und Kommentaren, die den H&M-Dimes-Square-Hype mit süffisanter Skepsis kommentieren. In einer Instagram-Story nennt einer der User ironisch „Name 5 reactionary podcasts“, als wolle er sagen, dass der kulturelle Zündstoff, den das Shirt anzuzünden versucht, allzu tief sitze und vielleicht einiges an Geschichtsvergessenheit offenbare. Ein anderer verweist auf den Unmut vieler Internetuser: „Ich bin berufstätig, jemand erklärt mir, warum das schon wieder anstößig sein soll?“ – und bekommt prompt die spöttische Antwort: „Für Berufstätige ist Dimes Square wie Hotlanta. Man hat keine Ahnung, was das eigentlich bedeutet, aber du weißt, du sollst’s cool finden.“
Wie aber konnte es passieren, dass ausgerechnet in den heiligen Hallen von H&M, einem Unternehmen, das jährlich Milliarden von Kleidungsstücken weltweit verteilt, diese fast schon elitäre, mit kulturellen Codes aufgeladene Marke durchflutschte? Eine Pressesprecherin erklärt in einer Mail, das Design sei Teil eines globalen Prozesses, der verschiedene Städte und Stadtviertel sowie ihre kulturelle Atmosphäre feiern wolle. Die Verwendung des Namens „Dimes Square“ sollte demnach eine geographische Referenz sein, die kreative Energie hervorheben – nichts weiter. Andere Deutungen des Motivs seien unbeabsichtigt.
Doch sobald das Shirt die Verkaufsregale (und kurz darauf die sozialen Netzwerke) erreichte, begann die wilde Fahrt der Bedeutungszuschreibungen erst richtig. Es wäre fast wie ein ironisches Spiel mit der Authentizität und ihrer Übersetzung in Massenkultur. So berichtete ein Beobachter bereits, dass ein echter Downtown-Scenester das Shirt sogar in Dimes Square selbst trug – eine selbstreferenzielle Performance, die den Zauber des Ortes und den Reflexionsraum über ihn zugleich verkörpert.
„Manche sagen, sie würden es ironisch tragen“, erzählt ein Insider, der die Szene gut kennt. „Da ist die Schlange schon halb verschlungen. Das Teil hat sich selbst gefressen und versucht jetzt, wieder rauszukommen.“ Die Ironie hat hier schon eine Art McLuhan’schen Effekt: Das Medium ist die Botschaft, und die Botschaft ist sich selbst schon zu viel. Doch andererseits kommentiert derselbe Kenner auch etwas versöhnlich: „Wenn Brandy Melville [die Jugend-Marke] das gemacht hätte, würde ich sagen: verdammt richtig, hell yeah.“
Diese kleine Mode-Kontroverse bringt etwas zum Vorschein, das viel über unsere Gegenwart erzählt. Es geht nicht nur um ein T-Shirt oder ein Viertel in New York, sondern um eine ganze Verunsicherung im Umgang mit Ort, Identität, Kommerz und kultureller Aneignung. Wenn ein Kleidungsstück zum Vehikel dessen wird, was man einmal „eine Community“ nannte, kippt die Ironie schnell ins Melancholische. Ist das eine Art postmoderne Landkarte, auf der wir uns nicht mehr auskennen? Oder ein globaler Kultur-DJ, der Samples aus großer Entfernung mixt und teilweise ungeschützt in den Umlauf bringt?
Der Zauber von Dimes Square – oder was man dafür hält – liegt eben auch darin, dass er sich nicht einfach festlegen lässt. Er ist Bühne, Aufenthaltsort und Mythos zugleich, und manchmal auch nur noch eine Überschrift auf einem Kleinserienartikel, der längst kopiert, verlacht und weiterverkauft wurde. Vielleicht ist das nun seine neue Rolle: nicht mehr nur ein versteckter Winkel, sondern eine Metapher dafür, wie wir im Zeitalter der Digitalisierung und der Schnelllebigkeit unserer Städte mit Erinnerungen und Identitäten umgehen. Ein tanzendes Fragment von New York, das sich in Baumwolle verwandelt und die Welt bereist – nackt, ehrlich, ironisch, absurd. Wie irgendwie alles heute.