Ein schwacher Lichtstrahl in endlos dunkler Nacht: Auf der staubigen Straße in Gaza-City weicht die Hoffnung einem Verstummen, wenn die Bomben fallen, doch zuletzt waren es weder Granaten noch Raketen, die das Leben stillzulegen drohten – es war der Hunger. Die Stadt, die lange schon am Rand des Unmöglichen lebte, hält den Atem an, seit die Nachrichten über eine neue “Pause” durchsickerten: zehn Stunden tägliche Waffenruhe. Kein Sieg, kein Friedenszeichen – eine Zäsur, die weder versöhnt noch erlöst, sondern nur einen Augenblick atmen lässt inmitten eines qualvollen Ringen ums Überleben.
Die Isolierung Gazas, ein Minenfeld aus politischen Blockaden, zerbrochenen Hoffnungen und humanitären Katastrophen, lässt sich kaum greifen, wenn man nicht die Gesichter kennt, die das Schicksal wie ein düsteres Band umklammern. In einem kleinen, kargen Zimmer, dessen Fenster auf einen düsteren Innenhof blicken, sitzt Samir, ein Vater von vier Kindern. Seine Hände sind ruhelos, die Finger zittern. “Zehn Stunden”, sagt er, “zehn Stunden, die uns plötzlich zum Luxus geworden sind.”
Samirs Worte klingen bitter, als er von der letzten Nacht erzählt. In der Dunkelheit brach eine seltene Ruhe herein, die Straßen leer, die Geräusche verebbten. Eine dünne Atempause, doch der Hunger fraß tiefer, als Worte greifen können. “Meine älteste Tochter hat schon seit Wochen nichts mehr gegessen”, sagt er kaum hörbar. “Sie will nicht klagen, aber ihre Augen sprechen von Schmerz, den wir nicht lindern können.” Die Zehn-Stunden-Pause wird zum zarten Hoffnungsfunken – ein Zeitfenster, in dem Hilfslieferungen zumindest theoretisch vorankommen könnten, wenn die Grenzposten nicht blockieren.
Auf dem engen Markt, der einst lebendig und bunt war, herrscht eine schmerzliche Stille. Händler bleiben hinter ihren Ständen, die Regale fast leer. Die Menschen haben kaum Geld, um selbst die versprengten Lebensmittel zu kaufen, die oft nur verunreinigt oder von schlechter Qualität sind. Immer mehr Familien verzichten auf drei Mahlzeiten täglich, Ersatznahrung für Kinder ist Mangelware. Der still schleichende Hunger zieht Phasen des Nebels über Gazas Straßen – eine unsichtbare Last, die das Lachen der Kinder erstickt und die Zukunft bedrängt.
Am Rande des Krankenhauses von Shifa wird die Not noch greifbarer. Die Ärztin Leila al-Rashid spricht von Fällen, die ihr mehr Sorge bereiten als die Verletzungen des Krieges. “Wir betreuen immer mehr Kinder mit Unterernährung”, sagt sie mit einem müden Blick. “Ihre kleinen Körper kämpfen um jeden Atemzug, oft haben sie keine Kraft zum Weinen.” In der langen Liste von Problemen, die das Krankenhaus täglich bewältigt, wächst die Zahl der Hungernden, die ohne einen Eingriff nicht überleben können. Medikamente zur Behandlung sind knapp, und Personal ist durch den Dauerstress ausgelaugt.
Zwischen politischen Ränkespielen und internationalen Machtverschiebungen bleibt die Frage: Warum dauert es so lange, bis humanitäre Hilfe ungehindert fließen kann? Die zehn Stunden täglich, in denen Waffen schweigen sollen, sind ein Kompromiss, der kaum die Ränder des Möglichen erfasst. Für die Menschen in Gaza ist es kein Friede, sondern eine fragile Überlebenslinie, die jederzeit abreißen kann.
Ahmed, ein junger Lehrer, der in einem improvisierten Klassenzimmer Kinder unterrichtet, beschreibt die Auswirkungen der Einschränkungen auf die Seele: “Wenn die Bomben schweigen, hören wir den Hunger in den Magen unserer Kinder. Das macht die leisen Stunden schwerer als den Lärm.” Er erzählt von einer kleinen Schülerin, die immer öfter mit leerem Blick an ihrem knappen Frühstück sitzt, als ob ihr Körper längst kapituliert hätte.
Die politischen Mechanismen, die zu dieser Verzögerung beitragen, sind komplex. Verschiedene Fraktionen in Gaza, Israel, internationale Mächte und Hilfsorganisationen verhandeln um jeden Meter humanitärer Korridore. Ihre gegenseitige Verantwortung gegeneinander auszuspielen, egal wie oft sie von “humanitärer Verpflichtung” sprechen, sorgt für Blockaden, die nicht nur durch Mauern aus Beton, sondern durch Misstrauen und Machtgedanken errichtet werden. Die zehnstündige Unterbrechung einer militärischen Offensive zeigt, wie weit die Gespräche von einer dauerhaften Lösung entfernt sind.
In Gaza, wo die Nächte langer sind als die Tage, bleibt die Sehnsucht nach mehr als bloß Ruhe eine stille Kraft. Die Menschen spüren das Dröhnen in der Luft, nicht nur das der Bomben, sondern das der Hungerkrise, die sich wie ein unsichtbares Heer ausbreitet. Jede Pause, so kurz oder unzureichend sie auch sein mag, trägt die Hoffnung in sich, dass irgendwann einmal ein anderer Takt möglich sein wird – einer, der Leben schafft und nicht nur das Sterben hinauszögert.
Die Geschichte von Gaza erzählt keine einfachen Ursachen und Lösungen. Sie ist geprägt von Zerwürfnissen, von zerbrochenen Träumen und von Menschen, deren Alltagskämpfe unsichtbar in den Schatten politischer Spielfelder weitergehen. Die zehn Stunden Ruhe im Krieg sind nur ein Fragment in einem ansonsten unendlichen Geflecht aus Widerstand, Verzweiflung und dem ungebrochenen Wunsch, das Leben zu bewahren, wo es am kostbarsten und doch am verletzlichsten ist.