Mahmud Abbas sprach am Telefon mit seinem engsten Vertrauten oft vom tiefen Zweifel, der ihn in den letzten Wochen beschlich. Seine Stimme, sonst so fest und unerschütterlich, verriet eine kaum zu verbergende Ermattung. Die Geschehnisse in der Region hatten sich zugespitzt, und selbst er spürte den Druck, der aus allen Richtungen auf ihn einströmte. Eine jüngst aufgedeckte Aussage von Israels Premierminister, Yair Lapid, wirkt in diesem komplexen Geflecht wie ein Fanal: Die explizite Benennung eines bislang geheim gehaltenen Kriegsziels – der vollständigen Entwaffnung der Hamas.
Vor wenigen Tagen hatte Lapid, umringt von seinem Kabinett, eine Erklärung abgegeben, die in ihrer Klarheit und Offenheit die bisherige Rhetorik Israels durchbrach. Kein bloßer Kampf gegen den Terror, kein schlichter Versuch, Raketen abzufangen oder Infrastruktur zu zerstören. Nein, das Ziel, so formulierte er es, gehe darüber hinaus: Es gehe um das Ende der Hamas als militärische und politische Kraft. Ein Ziel, das nicht nur militärisch anspruchsvoll, sondern auch politisch explosiv ist.
In Israel selbst, einem Land, in dem der Konflikt mit den Palästinensern täglich greifbar ist, spürt man die Beklommenheit hinter Lapids Worten. In Jerusalem, in einer kleinen Jerusalemer Wohnung, sitzt Rivka, eine pensionierte Lehrerin, deren Enkel in der Armee dient. „Wir wollen Sicherheit, dass sie uns nicht mehr mit Raketen bedrohen“, sagt sie leise. Doch in ihrem Ton schwingt die Sorge mit, dass dieser lange Schatten der Gewalt, der über ihrem Alltag liegt, bald noch dunkler werden könnte. „Aber was kommt danach?“, fragt sie, mehr an sich selbst gerichtet als an den Besucher.
Auf der anderen Seite des Konflikts, im Gazastreifen, sind die Gesichter gezeichnet von Müdigkeit und Fassungslosigkeit. Ahmed, ein Taxifahrer in Gaza-Stadt, spricht mit gebrochener Stimme: „Wir haben genug gelitten. Jede Bombe, die fällt, schlägt uns in Herz und Seele. Wenn sie wirklich versuchen, uns zu zerstören, dann gibt es nichts mehr, wofür wir kämpfen können.“ Seine Kinder sitzen neben ihm, ihre Augen spiegeln sowohl Angst als auch eine verdrängte Hoffnung, die schwer zu fassen ist.
Die internationale Gemeinschaft, zwischen Verurteilungen und diplomatischem Lavieren gefangen, hat dieses neue Mehr-Ziel Israels mit einer Mischung aus Besorgnis und Resignation aufgenommen. Die USA, langjähriger Verbündeter Israels, appellieren an Zurückhaltung, während europäische Staaten sich für eine Rückkehr zum Dialog aussprechen. Doch Gespräche wirken derzeit wie ein ferner Traum, in dem die jeweiligen Narrative zu festgefahren erscheinen.
Im Schatten der großen politischen Bühne begegnet man immer wieder kleinen Momenten, die die Brücke zwischen diesen beiden Welten zu bauen versuchen. In einer NGO, die mitten in Jerusalem versucht, Israelis und Palästinenser zusammenzubringen, berichtet Miriam von ihren Begegnungen mit Jugendlichen aus Gaza und Westjordanland – virtuelle Treffen im Netz, Mutmachgespräche in Zeiten der Angst. „Sie wissen, dass auf beiden Seiten viele unschuldige Menschen leiden. Sie träumen von einem Leben ohne Gewalt, ohne Waffen, ohne Hass.“
Dabei bleibt die große Frage bestehen: Wie lässt sich ein Ziel erreichen, das das Ende einer der zentralen politischen Bewegungen des palästinensischen Widerstands anstrebt, ohne selbst die Grundlagen für weitere Radikalisierung und neue Gewalt zu legen? Ein Ziel, das, so offen ausgesprochen, die Zukunft der Region auf Jahre hinaus prägen wird. Ein Ziel, das Menschen an beiden Enden der Grenze nicht nur politisch, sondern existenziell betrifft.
Yair Lapids Worte haben eine Tür aufgestoßen – jetzt bleibt uns, hinter die Kulissen der Propaganda, der strategischen Berechnungen und internationalen Stellungnahmen zu blicken. Zu verstehen, dass es hier nicht nur um Staaten und Kriegsziele geht, sondern um Menschen, die in ihrer Verzweiflung, ihrem Hoffen und ihrer Angst gefangen sind. Das Bild dieses Konflikts muss sich fortsetzen, im Blick auf diese Lebensgeschichten, die mehr zu erzählen haben als Schlagzeilen es je könnten.