Die Luft in einem der kleinen, heimeligen Cafés gegenüber der St. Laurentiuskirche in Dortmund ist gesättigt mit dem Geruch frisch gebrühten Kaffees, gemischt mit dem süßen Aroma von Zimtschnecken. An einem der Tische sitzt Benjamin, ein 31-jähriger Softwareentwickler, dessen dunkler Pullover ihm ein lässiges, doch zugleich professionelles Auftreten verleiht. Er schaut auf seine Uhr, während er nachdenklich an seinem Latte macchiato nippt. „Wenn die Abgabenlast nicht so hoch wäre, würde ich sicher öfter Überstunden machen“, murmelt er fast schüchtern, als würde die bloße Erwähnung seiner Ambitionen seine entspannte Fassade durchbrechen.
Benjamin ist nicht allein in seinen Überlegungen. Eine aktuell veröffentlichte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat in den letzten Tagen für viele Gespräche über das Thema Mehrarbeit gesorgt. 77 Prozent der Beschäftigten in Deutschland würden bei einer verringerten Steuer- und Abgabenlast bereit sein, mehr zu arbeiten. Ein ansteckendes Gefühl von ungenutztem Potenzial schwebt durch die Luft – ein latent vorhandenes Bedürfnis, das aus der Unzufriedenheit mit der bestehenden wirtschaftlichen Situation resultiert.
Frank, ein 45-jähriger Gewerkschaftsvertreter, sitzend in einer dunklen Eckbank, kann Benjamin gut verstehen. „Viele Menschen fühlen sich an den Rand gedrängt“, erklärt er mit einer melancholischen Miene. „Wenn man hart arbeitet und dafür nicht belohnt wird, dann bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Was wäre, wenn man die Möglichkeit hätte, für zusätzliche Stunden angemessen entlohnt zu werden?“ Sein Blick wandert hinaus auf die Straße, wo Passanten hastig ihren Geschäften nachgehen, und für einen Moment betrachtet er das Szenario einer ausgedehnten Work-Life-Balance. „Aber umso mehr man verdient, umso mehr wird man besteuert – da fragt man sich, ob sich die Mühe wirklich lohnt.“
Das Café wird lebhafter, als eine Gruppe junger Freelancer hereinkommt. Sie können sich gerade noch zurückhalten, um lautstark über neue Projekte und Visionen zu diskutieren. Ein Gespräch über ihre Zukunft bahnt sich an: „Ich würde mir wünschen, dass ich mehr Zeit und Ressourcen für meine Ideen hätte“, sagt Lisa, eine 28-jährige Grafikerin, enthusiastisch. „Aber wenn die Hälfte meines Einkommens weg ist durch Abgaben, dann kann ich kaum überleben. Es ist fast so, als ob ich dazu gezwungen werde, weniger kreativ zu sein. Wenn wir weniger abgeben müssten, würde ich mehr Zeit und Energie investieren – nicht nur für den Job, sondern für das, was ich wirklich liebe.“
Was hier aufblitzt, ist die Kluft zwischen dem Drang zu arbeiten und dem Gefühl, in einem System gefangen zu sein, das einem die Entfaltungsmöglichkeiten raubt. Der Tisch nebenan erinnert einen an die Alltagsrealitäten der deutschen Arbeitnehmerschaft – eine Mischung aus Enttäuschungen, Hoffnungen und der ständigen Suche nach einem besseren Gleichgewicht. Während die Gruppe an einem kreativen Projekt arbeitet, wird deutlich, dass die Motivation nicht nur aus dem Verlangen nach Geld kommt. Es ist das Streben nach Anerkennung und einem Platz in der Gesellschaft.
Die Studienergebnisse werfen auch einen weiteren Schatten auf die Realität des deutschen Arbeitsmarktes. Menschen wie Benjamin und Lisa träumen nicht nur von einem höheren Einkommen, sondern sie sehnen sich nach der Möglichkeit, ihre Fähigkeiten aktiv auszuleben, ohne dass der Staat als unerbittlicher Akteur hinter jedem Schritt lauert. „Das ist eine Sache von Wertschätzung“, sagt Lisa, während sie an ihrer Notizbuchseite kritzelt. „Wenn ich für mehr arbeite, erwarte ich auch ein Fünkchen Dankbarkeit oder zumindest nicht das Gefühl, wie ein Räuber bei der Steuererklärung dazustehen.“
Auf den Straßen und in den Büros bleibt der Diskurs über die Abgabenlast auf der Tagesordnung. Eine Altersgruppe, die in den 90er Jahren oder davor ins Arbeitsleben eingetreten ist, sieht sich plötzlicher Konkurrenz gegenüber – jüngeren Angestellten, die sich vorgenommen haben, nicht nur ihre beruflichen Fähigkeiten, sondern auch ihren Lebensstandard zu erhöhen. Es ist eine Herausforderung, die nicht nur die individuellen Arbeitnehmer betrifft, sondern ein kollektives Streben nach Zugehörigkeit und Wertschätzung anstößt.
Als wäre die Last der Steuern nicht schon schwer genug, beobachten Arbeitnehmer den ständigen Fluss von Werbung und sozialen Medien, die ihnen den idealen Lebensstil vor Augen führen: Glück, Erfolg und Freiheit. Der Kontrast zwischen diesen Idealen und der Realität nagt an der Selbstwahrnehmung. Tobias, ein 39-jähriger Maschinenbauingenieur, steht vor der Herausforderung, seine Hoffnungen in einem Arbeitsumfeld zu realisieren, das oft als erstarrt wahrgenommen wird. „Ich würde mehr einen Schritt in Richtung Selbstverwirklichung gehen“, erklärt er. „Aber es fühlt sich an, als hakten da viele Räder ineinander. Wenn ich für Überstunden nicht genug Anreize später bekomme – was ist es dann wert?“
Inmitten all dieser Stimmen bleibt die Frage bestehen, was eine solche Bewegung für die deutsche Kultur und Gesellschaft bedeutet, wenn der Wunsch nach zusätzlichen Arbeitsstunden durch finanzielle Entlastung bedingungslos gekoppelt ist. Die Vorstände großer Unternehmen müssen heute, mehr denn je, den Puls der Belegschaft fühlen und auf die kollektiven Bedürfnisse reagieren. Mehrarbeit anregen? Ja, aber nur wenn sie in einem geschützten Rahmen von echtem Wert anerkannt wird.
Die Szenerie des Cafés wandelt sich langsam, die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen und taucht den Raum in ein sanftes Licht. Nachdenklichkeit schwebt im Raum. Während Benjamin seinen Latte genüsslich leert und die Gespräche um ihn herum leiser werden, stellt sich die Frage: Wie viel von unserem Potenzial bliebe noch ungenutzt, wenn die Abgabenlast nicht so drückend wäre? Sicher, es scheint eine einfache Rechnung zu sein – Bezahlung für Leistung. Doch der soziale und kulturelle Kontext, in dem diese Rechnung aufgestellt wird, ist alles andere als einfach. Und so bleibt es den Menschen überlassen, in diesem Spannungsfeld aus Belastung, Energie und dem Drang nach mehr Selbstbestimmung ihre eigene Wahrheit zu finden.