In einem gedämpften Meetingraum irgendwo im Regierungsviertel flackert der Bildschirm. Neben dem tristen Rot der CDU-Logos springt der Praxischeck einer aktuellen Umfrage ins Auge: Friedrich Merz, der Mann, der einst als Hoffnungsträger galt, steht auf sinkendem Kurs. Wählerinnen und Wähler, die einst fest auf seine Schlagworte und klare Linie setzten, wirken zunehmend ungeduldig, fast gelangweilt. „Wir hatten uns mehr erhofft“, hört man gelegentlich in den Fluren, meist hinter vorgehaltener Hand.
Merz, der gewiefte Finanzstratege mit markanter Krawatte, ist längst mehr als nur ein Parteichef oder Kanzlerkandidat. Er ist zum Sinnbild einer politischen Wechselstimmung geworden – einer Widerspiegelung dessen, wie schwer die Führung in unruhigen Zeiten fällt. Doch hinter den nüchternen Zahlen verbergen sich Geschichten von Menschen, die Merz einst auf der Bühne begrüßten und nun mit einem skeptischen Blick verfolgen, wie es weitergeht. Jörg, 48 Jahre, selbständiger Handwerker aus Duisburg, hat seine Stimme einst ohne zu zögern für die CDU abgegeben. „Merz wirkt auf mich oft zu sehr im Elfenbeinturm,“ sagt er. „Man spürt, dass er die Sorgen von Otto Normalverbraucher nicht richtig greift – vor allem, wenn’s ums Brennglas-Problem Inflation geht.“
In den letzten Monaten hat sich das auch im Berliner Machtkartell herumgesprochen. Etwas mehr als ein Jahr liegt Merz’ Kanzlerschaft inzwischen zurück, und die schiere Menge an inhaltlichen Baustellen scheint so endlos wie ein Stadtplan voller roter Route-Schlangen. Von steigenden Energiepreisen über Arbeitsmarktfragen bis hin zu einer unsicheren geopolitischen Lage – die Linien verlaufen cruziell aneinander vorbei, verheddern sich zu einem Gestrüpp, in dem Regierung und Opposition gleichermaßen straucheln. Doch während die Sozialdemokratie mit personellen Umbauten reagierte, scheint Merz mit seinen nüchternen Auftritten oft nur zu sagen: „Warten Sie ab.“ Ein Satz, der den Kern seines Dilemmas facettenreich illustriert.
Die Kanzlerschaft Merz’ lebt von Ambivalenzen. In der Öffentlichkeit zeigt er sich selten emotional – fast schon kalkuliert, was kritischere Beobachter mit distanzierter Geschäftsführung gleichsetzen. Im Bundestagsbüro erzählt eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte, von den späten Abendstunden, in denen Merz trotz Terminstress die Details durchdringt. „Er liebt die Zahlen, die Fakten“, sagt sie. „Aber manchmal fehlt das Gefühl dafür, was die Leute wirklich umtreibt.“ Ein Kontrast etwa zu den leidenschaftlichen Reden eines Olaf Scholz oder den impulsiven Stellungnahmen manch anderer Politiker.
In einem kleinen Café nahe dem Frankfurter Bankenviertel, wo Merz’ Wurzeln liegen, beobachtet man die Debatte mit gemischten Gefühlen. Die CDU-Basis schluckt schwer, wenn sie die Umfragewerte sieht. Ein junger CDU-Jurist bringt es auf den Punkt: „Merz verkörpert alte Zeiten – ein Netzwerk aus Wirtschaft und Politik, das nicht jedem schmeckt. Dabei braucht die Republik im Moment jemanden, der Brücken baut, nicht Mauern.“ Einige Lebensläufe der Anhängerschaft zeigen, dass sie sich eine Veränderung auf sozialer Ebene wünschen. Die Unsicherheit etwa vieler kleiner Läden, die unter Energiekosten und Nachfragerückgang ächzen, findet bei Merz noch zu wenig Echo.
Doch Merz selbst scheint sich nicht vor der Herausforderung zu drücken. In einem seltenen, ausführlichen Interview im Kanzleramt gab er einen Einblick in seine Denkweise: „Ich stehe für Stabilität, für Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Das kann manchmal langweilig wirken, aber es ist nötig.“ Der Satz ist eine dünne Brücke zur modernen Unruhe. Die politischen Gegner beschreiben ihn gerne als „bürgerlichen Traditionalisten“, der an einem System hängt, das heute viele als starr empfinden. Doch Merz weiß, dass mit seiner Rolle viel mehr auf dem Spiel steht als nur Wahlergebnisse – eine Art moralischer Kompass, der sich allmählich abnutzt, wenn er allzu unbeweglich bleibt.
In den Fußgängerzonen von Berlin oder Hamburg rückt das Thema näher an die Menschen heran: Die Frage danach, wie Deutschland durch unsichere Winter, Inflation und globale Spannungen kommen soll, verändert die Perspektive. „Bundeskanzler? Das klingt so weit weg“, meint eine Verkäuferin in einem Bio-Laden. „Aber was er tut, spüren wir hier direkt – bei der Miete, beim Strom.“ Die Politik war schon immer ein Spiegel gesellschaftlicher Befindlichkeiten, nicht zuletzt bei Merz’ Wählerschaft. Doch während die Fronten sich verhärten, wächst der politische Druck hinter den Kulissen spürbar.
Ein Blick auf Merz’ innerparteiliche Rivalitäten offenbart weitere Bruchlinien. Selbst in der eigenen Partei wird das Mantra lauter: Mehr Tempo, mehr Ideen, mehr Nähe zum Bürger. Dass Merz, der prägenden Figur von einst, sich selbst neu erfinden muss, ist eine unausgesprochene Erkenntnis. Ein enger Vertrauter beschreibt Merz als jemand, der zum Nachdenken neigt, aber auch eine dicke Haut hat. „Er will liefern. Aber in der Politik heißt das manchmal auch: du bist Opfer deiner eigenen Hoffnungen und der Erwartungen deiner Partei.“
Das Bild, das sich aus den Umfragen herauskristallisiert, ist jenseits von festgefahrenen Fronten eine Ambivalenz – eine Balance zwischen Erwartung und Wirklichkeit. Für den Kanzler gilt: Die Bühne ist noch groß, aber das Publikum wird unruhiger. Es würde kein Donner grollen, wenn Merz den nächsten Schritt verpasst. Stattdessen wächst die spürbare Spannung, die leise Erwartung, dass aus der Kontinuität endlich ein neues Momentum entsteht. Und so bleibt in einem Land voller Fragen am Ende nur der Blick auf einen Mann, der zwischen Anspruch und Wirklichkeit steht und sich neu beweisen muss – vielleicht über jeden Spruch, jede Rede, jede kleine Geste. Die nächste Umfrage wird zeigen, ob das reicht.