Sie saß da, auf dem kleinen Spielplatz im Park, zwischen aufgeregten Kleinkindern und überforderten Eltern, und blickte ins Leere. Nicht, weil sie den Moment nicht genoss – ganz im Gegenteil. Es war gerade diese ganz unmittelbare Nähe zum Leben, die sie spürte: das ausgelassene Lachen ihres Sohnes, die warme Frühlingssonne auf der Haut, das leise Rascheln der Blätter. Doch irgendwo in der Tiefe ihres Gehörten und Gesehenen regte sich eine leise Stimme, die von Erwartungen, von Druck und von einer ganz anderen Vorstellung von „Erfolg“ erzählte. Sie dachte darüber nach, wie oft wir – besonders Frauen – dazu getrieben werden, immer mehr zu leisten, immer weiter zu gehen, immer besser zu sein. Und wie befreiend es doch sein kann, diese Haltung über Bord zu werfen. Gerade in der Mutterschaft.
Es ist eine Geschichte, die gerade jetzt erzählt werden muss. Denn in der Debatte um Vereinbarkeit, Karriere und Selbstverwirklichung scheint das Mutterdasein oft in einem paradoxen Spannungsfeld zu stehen: Auf der einen Seite der Anspruch, als Frau möglichst vielseitig, produktiv und leistungsstark zu sein – als Berufstätige, Partnerin, Freundin, und natürlich auch als Mutter. Auf der anderen Seite das Bedürfnis nach stillem, intensiven Erleben, nach Zeit und Raum für jene kleine, fragile Welt, die da bei einem zuhause heranwächst. Was aber passiert, wenn Frauen sich von dem Druck befreien, immer mehr schaffen zu müssen? Wenn der Maßstab für eine „gelungene“ Mutterschaft nicht mehr in hektischen To-do-Listen gemessen wird, sondern im „Da-Sein“, im Erleben und im Annehmen?
Diese Frage drängt sich geradezu auf beim Blick auf eine Studie aus den USA, die jüngst im Wall Street Journal diskutiert wurde: Viele Frauen berichten demnach, dass das Loslassen von dem permanenten Drang, produktiver zu sein oder „alles unter einen Hut“ zu bekommen, ihre Sicht auf das Muttersein grundlegend verändert hat. Plötzlich wird Mutterschaft selbst zur tiefen Quelle von Sinn und Erfüllung, mehr als nur eine zusätzliche Aufgabe im ohnehin vollgepackten Terminkalender.
Ich spreche mit Anna, Anfang 30, zweifache Mutter aus Berlin. „Früher dachte ich, ich müsste Karriere machen, wie meine Freundin, die gerade Partnerin in einer großen Kanzlei wurde“, sagt sie. „Ich wollte nicht zurückstecken, sondern alles schaffen. Kinder bekommen und trotzdem beruflich voll durchstarten.“ Dann kam der erste Sohn, der zweite, und mit ihnen ein schleichender Prozess des Umdenkens. „Irgendwann wurde mir klar, dass diese ständige Erschöpfung und das Hetzen zwischen Terminen gar nicht das Leben sind, das ich führen möchte. Dass es okay ist, wenn ich nicht immer sehe, was draußen passiert oder wenn ich nicht jeden Tag hundert Prozent gebe.“ Inzwischen nimmt sie sich bewusst Zeiten für ihr Wohlfühl-Mutter-Dasein, in denen sie einfach nur ist: mit ihren Kindern, in ihrer Familie, ohne Druck und ohne Kontrolle.
Das bedeutet nicht, den Kopf in den Sand zu stecken oder Arbeit und Persönlichkeitsentwicklung hintanzustellen. Vielmehr ist es eine Verschiebung der Perspektive. Weg von der Idee einer „Superfrau“, hin zu einem Verständnis von Weiblichkeit und Mutterschaft, das Raum schafft für Verletzlichkeit, für kleine Momente des Glücks und der Stille, für eine unmittelbare Beziehung zum Kind, die nicht durch Effizienz und Optimierung zerteilt wird.
Man könnte das zynisch nennen, vielleicht als Kapitulation gegenüber einem überzogenen Anspruch. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Denn diese Verschiebung ist auch eine kleine Rebellion gegen eine Gesellschaft, die Leistung über alles stellt. Es ist eine Einladung, das Muttersein nicht nur als gesellschaftliche Aufgabe, sondern als persönliche Erfahrung mit allen Facetten zu begreifen – mit ihren Herausforderungen ebenso wie mit ihrer tiefen Sinnhaftigkeit.
In der U-Bahn-Station höre ich zwei junge Mütter ins Gespräch kommen. Die eine berichtet von ihrem Job, der zweiten erzählt von den Nächten, in denen ihr Baby nicht schlafen wollte. Beide lachen, als sie über schlaflose Nächte und das unverhoffte Chaos sprechen. Aber sie klingt auch ein bisschen leichter, nicht so müde, nicht so getrieben, als hätten sie einen Schlüssel gefunden. Den Schlüssel zu einem entspannten Umgang mit dem eigenen Anspruch – und damit vielleicht auch zu einer tieferen Form der Zufriedenheit.
Es sind kleine Momente, wie sie wohl in jeder Stadt zu beobachten sind: Der langsame Spaziergang nach dem morgendlichen Kinderwagen-Sport, das Vorlesen von Geschichten, das stille Gespräch über die Zukunft inmitten von Krabben, Windeln und Aufbauarbeit an der eigenen Identität. Und mittendrin diese Erkenntnis: Es geht nicht darum, alles zu schaffen, sondern das, was da ist, wirklich zu erleben und wahrzunehmen.
Mutterschaft als Berufung – nicht als Pflichtprogramm. Das klingt zunächst romantisch, fast altmodisch. Aber vielleicht ist es genau das, was heute gebraucht wird. Ein Innehalten in einer Welt, die sich ständig dreht, ein leises Danke an den Augenblick, ein Abschied von der Illusion, alles kontrollieren zu können.
Wir sollten uns nicht daran messen lassen, wie viel wir tun – sondern daran, wie tief wir leben. Vielleicht liegt in dieser Erkenntnis eine stille Kraft, die uns alle bereichern kann. Gerade Frauen, die Mutter werden oder schon sind, erzählen immer öfter von diesem Geschenk: das Annehmen der eigenen Grenzen als Weg zur inneren Freiheit. Aus der Not der Überforderung wächst die Kunst des genauen Hinschauens, des Einlassens, des einfachen Seins.
Am Ende spaziert Anna mit Kindern und ihrem Mann nach Hause. Das Lachen der Kinder hallt durch die Straßen. Keine To-do-Liste, keine Erwartung, die unerfüllt bleiben müsste. Nur die Gegenwart, die empfunden wird – ungeschminkt, ungesteuert, echt. Und wenn das keine Erfüllung ist, was dann?