Der schmale Streifen Land zwischen Krieg und Frieden, zwischen Hoffen und Resignieren, zwischen scheinbarer Normalität und latenter Gefahr – das ist Südlibanon. An einem staubigen Nachmittag liegt die Luft schwer über den grünen Hügeln nahe dem kleinen Städtchen Naqoura. Aus der Ferne tuckern die Motoren von UNIFIL-Panzern, die in behäbiger Routine ihre Patrouillen fahren. Je länger man hier verweilt, desto mehr spürt man eine stille Spannung unter der Oberfläche, erzählt von einer Front, die nicht nur militärisch, sondern vor allem politisch festgefahren ist.
Seit nun fast zwei Jahrzehnten steht UNIFIL, die United Nations Interim Force in Lebanon, als Mahner und Wächter entlang dieser Grenze. Ein Mandat, das die Vereinten Nationen einst mit großem Idealismus ausriefen, um den fragilen Frieden zwischen Israel und Libanon abzusichern. Doch während die Uniformen die Grenze durchstreifen, ist die eigentliche Frage längst nicht militärischer Natur. „Was uns fehlt, ist die politische Durchsetzungskraft“, sagt ein UNIFIL-Offizier, der namentlich nicht genannt werden will. „Wir tun, was wir können. Aber wir können keinen Frieden erzwingen.“
Die UNIFIL-Soldaten kommen aus verschiedenen Ländern, von Nepal über Irland bis hin zu Fidschi. Sie entspringen unterschiedlichsten Kulturen, verständigen sich an diesem Ort der Wunden und Überbleibsel eines Krieges, der nie wirklich aufgehört hat. „Es ist bizarr“, erzählt ein serbischer Feldarzt, der regelmäßig posttraumatische Belastungen behandelt. „Wir sind hier, um Menschen zu beschützen, die uns manchmal feindliche Blicke zuwerfen. Die Leute wollen Frieden, aber sie vertrauen niemandem. Nicht mal uns.“
Der Kampf um die Grenze ist daher kein Kampf von Kugeln, sondern von Narrativen. Die libanesische Hisbollah, politisch fest verankert, hält ihre Waffen als Zeichen der Selbstverteidigung gegen den nordischen Nachbarn. Israel sieht in den Mörsern und Raketen der libanesischen Schiiten eine ständig lauernde Bedrohung. Dazwischen die UNIFIL-Einheiten, die gesichtslos zwischen den letzten Minenfeldern patrouillieren. Die offiziellen Zahlen sprechen von einem Rückgang der gewaltsamen Zwischenfälle, doch das Grundmisstrauen bleibt.
Warum also kein Durchbruch? Eine Antwort findet sich in den Bruchlinien des internationalen Systems. Während der Sicherheitsrat Resolutionen verabschiedet, wagt kaum ein Mitglied ernsthafte Maßnahmen. Die politischen Interessen der Großmächte, die israelisch-libanesische Geschichte, schiitische und sunnitische Rivalitäten bilden ein Geflecht, das sich nicht so leicht entwirren lässt. „Dieses Mandat ist geprägt von einem Mangel an politischem Willen. UNIFIL ist ausgesprochen engagiert, aber der Raum, in dem sie operieren, ist beschränkt“, sagt Dr. Samar Khalil, Nahost-Expertin an der American University of Beirut.
Dass dieser schmale Streifen Erde im Prinzip der Paradefall für eine internationale Friedensmission ist, wird schnell klar. Die Bewohner leben in einem fragilen Alltag zwischen Normalität und Kriegsangst. Die Frau am Markt, die eines Tages erzählt, wie ihr Nachbar von einer Landmine verletzt wurde, und am nächsten Tag erzählt, wie die Soldaten von UNIFIL Wasserflaschen zu ihren Kindern gebracht haben. Die Kinder, die auf dem staubigen Fußballplatz spielen, unbeeindruckt von den unsichtbaren Linien, die sie trennen sollen.
Eine erst kürzlich abgehaltene Sitzung in Naqoura war von einer eigentümlichen Mischung aus Hoffnung und Stagnation geprägt. Vertreter der lokalen Gemeinden sprachen von dem Wunsch nach verlässlicher Sicherheit, von der Sehnsucht nach einer Rückkehr zur ungestörten Landwirtschaft und unbeschwerten Mobilität. Hinter verschlossenen Türen aber reflektierte man über das Scheitern der politischen Klasse, die sowohl in Beirut als auch in Jerusalem zu oft auf kurzfristige Interessen setzt. „Wir sehen uns als Bauern des Friedens – doch ernten tun andere“, sagte ein älterer Landwirt, der auf den Hügeln Olivenbäume pflegt, die seit Jahren keinen Ertrag bringen.
UNIFIL selbst hat sich nicht totgelaufen, im Gegenteil. Neue Technologien, Aufklärungsmethoden, Kommunikationsmittel – all das ist Teil eines Modernisierungsschubs. Aber militärische Präsenz genügt nicht gegen tief verwurzelte Konflikte und historische Traumen. Es braucht vor allem Mut in der Politik, in der Diplomatie, und in den Herzen der Menschen. Die Grenze ist mehr als eine Trennlinie auf der Landkarte. Sie ist Spiegel eines geopolitischen Stillstands, eines zerrissenen Landes, einer Welt, die sich vom Frieden entfernt, während die Soldaten in blauer Montur Tag für Tag versuchen, ein kaum sichtbares Band der Hoffnung aufrechtzuerhalten.
Der Schritt von der Intervention zur Veränderung bleibt schwer und unsichtbar. Ein zögerliches Verhandeln in den Schatten, ein Einknicken bei globalen Agenden. Und so ziehen die Fahrzeuge von UNIFIL weiter ihre Runden an der Grenze, auf der Suche nach Sicherheit, nach einem Frieden, der nicht allein an Waffen, sondern an politischer Entschlossenheit gemessen wird. Nur dass diese Entschlossenheit sich nicht zeigen will, gefangen in Konferenzen, Resolutionen und stillen Kompromissen.
Ringsum setzt die Sonne langsam an, hüllt die Landschaft in goldene Töne, die Hoffnung zu versprechen scheinen. Aber der Alltag ist ein anderer, und der Friede – er bleibt ein Stück Schatten in der Dämmerung.