Die doppelte Rechnung des Welthandels: Warum eine 50-Prozent-Strafzollregelung auf russisches Öl trifft — aber China außen vor bleibt
Als der amerikanische Präsident im Juni 2023 die Einführung eines 50-prozentigen Strafzolls auf russisches Öl ankündigte, war die Botschaft klar: Russland soll für den Angriffskrieg in der Ukraine nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch am Markt bluten. Der europäische Energiemarkt sollte sich verbünden, um Putins Kriegskasse auszutrocknen. Und doch fügt sich ein Fleck in dieses Bild, der die Großeinsätze der internationalen Politik unterwandert: China. Auf der Rechtsseite der Grafik des Wall Street Journal liest man, dass China bei dieser Strafzollregelung nicht erfasst wird — wo doch vor allem Peking weiterhin mit Moskau Handel treibt, mit Öl ganz vorneweg.
Zu Beginn mag man sich fragen, ob es sich um einen simplen Auslassungsfehler handelt — doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache, und die politische Praxis ebenfalls. Der Blick auf die globalen Energieströme zeigt eine bewusst gesetzte Ausnahme im Kampf der westlichen Welt gegen russische Energieimporte. Man könnte sagen: China erhält eine Sonderbehandlung, obwohl der Sanktionsmechanismus konsequent und hart sein sollte. Warum?
Wer sich mit dem Thema beschäftigt, stolpert schnell über ein Netz von politischen Kalkülen, wirtschaftlichen Verflechtungen und strategischen Interessen, die jenseits von Schwarz-Weiß-Denken liegen. China ist nicht nur der größte Importeur von Rohöl weltweit; es hat auch eigene – nennen wir es diplomatische – Verpflichtungen und Ambitionen, die es in eine Schlüsselrolle rücken.
Ein Szenenbild aus Beijing im Sommer 2023: In einem überfüllten Café im Stadtbezirk Chaoyang sitzen junge Händler, die nicht nur über Waren, sondern auch über geopolitische Nachrichten sprechen. „Wir beobachten genau, wie sich der Westen verhält“, sagt Li Wen, ein Rohstoffanalyst. „Natürlich gibt es Spannung. Aber Zölle treffen uns nicht, China sucht nach stabilen Lösungen mit Russland. Das sagt auch viel über die geopolitischen Ambitionen. Hier geht es nicht nur um Handel, sondern um Macht.“
Wie viel Spielraum räumt der Westen China tatsächlich ein? Die Antwort liegt zwischen wirtschaftlichen Zwängen und politischem Kalkül. Die US-Regierung weiß um ihre Abhängigkeit von China als größtem Handelspartner und zugleich als globalem Finanzakteur. China spielt nicht nur eine Rolle als Markt, sondern auch als politischer Akteur, der in der Lage ist, die Karten neu zu mischen — etwa durch strategische Allianzen, die fernab des europäischen Fokus liegen.
Betrachtet man die Zahlen, so ist die Einfuhr von russischem Öl nach China in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Während Europa mit Verboten und Zöllen reagierte, kaufte China weiter – teilweise zu Preisen unter dem Weltmarktniveau, zum Vorteil Pekings. Das zeigt sich in der Grafik des WSJ besonders deutlich, wo Chinas Importmengen bei über 1,1 Millionen Barrel pro Tag liegen und die USA oder EU eine um ca. 50 Prozent niedrigere Menge zeigen. Die Differenz spricht Bände über globale Produktions- und Konsummuster, die jenseits von Sanktionslogik funktionieren.
Doch es sind nicht nur Zahlen, die hier interessant sind. Es sind die Menschen und Netzwerke — die Lastwagenfahrer, Hafenkapitäne, die Lagerarbeiter und Händler in Hafengebieten wie Dalian, Tianjin oder Ningbo. In einem Interview erzählt ein Schiffskapitän, der regelmäßig russisches Öl in Richtung China transportiert: „Wir sind einfach das Rad im System. Die Politik entscheidet. Für uns zählt, dass der Tank voll ist und die Routen sicher.“ In einem solchen Satz offenbart sich der Gegensatz zwischen den abstrakten politischen Maßnahmen und dem praktischen Alltag — Händel in unbekümmerter Routine trotz der großen Worte und Sanktionen in Washington, Brüssel oder Kiew.
Dabei zeigt sich: Der Ausschluss Chinas von den Strafzöllen ist auch ein interessantes Beispiel für die Ambivalenzen in der globalen Ordnung. Die USA verhängen den Zoll nicht nur, um russisches Öl zu verteuern — sie setzen damit auch gezielte Schachzüge gegenüber Europa, Russland und eben China. Es ist ein Spiel mit Ringen und Gegenspielern, mit offen sichtbaren und verborgenen Geflechten. Die Politik der Sanktionen entpuppt sich dabei als ein vielstimmiges Konzert, dessen rhythmische Struktur mitunter von taktischen Stimmen und Ausnahmen geprägt ist.
In Europa fühlen sich viele Akteure von der US-Strategie manchmal überrumpelt. Deutsche Industrievertreter, die längst mit russischem Öl wirtschafteten, mussten plötzlich ihre Lieferketten umstellen, während chinesische Unternehmensgruppen scheinbar unbehelligt weitermachten. Eine deutsche Energiefachfrau bringt es auf den Punkt: „Es geht um Geopolitik in Reinkultur. Es hat wenig mit moralischen Prinzipien zu tun und viel mit pragmatischen Interessen.“
Und in Peking? Die chinesische Regierung spricht lieber von „wirtschaftlicher Vernunft“ und „Partnerschaften für eine stabile Energieversorgung“. Hinter den Kulissen formiert sich eine Strategie, die nicht nur auf günstige russische Rohstoffe setzt, sondern auf eine längerfristige Positionierung in einer bipolaren Weltordnung.
Am Rand der Szene tauchen immer wieder Stimmen auf, die das Ganze hinterfragen: Was bedeutet diese Ausnahmeregel für die Glaubwürdigkeit von Sanktionen weltweit? Welche Botschaft sendet sie an Länder, die mit dem Westen nicht darin übereinstimmen? Und welche Folgen hat das für die Energiesicherheit überhaupt, wenn globale Märkte auseinanderdriften?
Es ist eine Geschichte voller Widersprüche, in denen sich Einfluss, Macht, Ökonomie und Ideologie miteinander verschränken. Die Strafzölle treffen Russland, anders als es zunächst scheint, nicht für sich allein – sondern im Spannungsfeld von Großmächten, die ihre eigenen Interessen auf unterschiedlichen Spielbrettern verfolgen. China wird dabei zur stillen Ausnahme, ein gewichtiger Faktor in einer Welt, die sich gerade neu ordnet.
Inmitten all dieser Komplexitäten bleibt das Bild des chinesischen Imports von russischem Öl eine stille Fußnote, ein Kontrast, der sich in den großen Schlagzeilen oft verliert. Und vielleicht liegt genau darin die Herausforderung: zu verstehen, dass globale Politik niemals ein einfaches Schwarz-Weiß ist, sondern durchzogen von Grautönen, Belastungen und verborgenen Dynamiken — irgendwo zwischen den Kaffeedämpfen Pekings und den Hafenlichtern Russlands.