Vor den Fenstern der Manhattan Bridge in New York rauscht der Verkehr unaufhörlich, eine endlose Schlange aus Lastwagen und Lieferwagen, die Waren durch das Herz des amerikanischen Handels transportieren. Doch während die Wirtschaftsdaten zurzeit von robusten Wachstumszahlen und anhaltend niedriger Arbeitslosigkeit zeugen, zeigen sich an den Rändern dieser scheinbar stabilen Wirtschaftsfassade die Schattenseiten eines zunehmend protektionistischen Kurses.
John Carter steht in seiner kleinen Schrauberwerkstatt in Queens und blickt mit Sorge auf die sich zuspitzende Lage. Für den 52-Jährigen, der Ersatzteile für Industrieanlagen importiert und vertreibt, sind die Auswirkungen der steigenden Zölle kein abstraktes Wirtschaftsthema – sie sind Existenzfrage geworden. „Wir haben 30 Prozent mehr für dieselben Teile bezahlt. Meine Kunden schlagen das auf die Preise drauf. Manche sagen, sie kaufen lieber gleich in China. Aber China ist genau das Problem – und gleichzeitig auch die Konkurrenz,“ sagt er, während er ein rostiges Zahnrad in der Hand wendet, das bald durch eine teurere, in Europa produzierte Variante ersetzt werden soll. „Man denkt, dass das Land geschützt wird, aber man selbst fühlt sich wie ein Schachbrett, auf dem die Spieler ihre Figuren verrücken.“
Seit der globale Handel sich seit den frühen 1990er Jahren mehr und mehr liberalisierte, war der Einsatz von protektionistischen Maßnahmen – wie hohen Einfuhrzöllen oder Importquoten – ein eher seltenes Instrument in der US-Handelspolitik. Doch die letzten Jahre brachten eine deutliche Kehrtwende. Das Verhältnis zu China, ehemals vor allem von Kooperation geprägt, ist von Misstrauen und wirtschaftlicher Rivalität geprägt. Präsidenten und politische Entscheidungsträger reden weniger von internationalen Partnerschaften, sondern mehr von „fairen Deals“ und „America first“. Hinter diesen Schlagworten verbergen sich wohldurchdachte Strategien, die oft harte Konsequenzen für Unternehmen und Verbraucher mit sich bringen.
Für die Fabrikarbeiter in den rustikalen Werkshallen von Ohio oder Michigan mag die Protektion ein Strohhalm sein, um die heimische Produktion zu stützen. Doch anderswo in den USA sieht die Realität anders aus. In Kalifornien etwa werden Produktionsketten verlagert, Zulieferer suchen nach Alternativen über die Grenzen hinweg – oft mit dem Ergebnis höherer Preise und damit sinkender Nachfrage. Maria Alvarez, Logistikmanagerin eines mittelständischen Textilunternehmens, beschreibt den Spagat zwischen Kostenkontrolle und Lieferdruck: „Unsere Lieferzeiten sind länger, und manche Rohstoffe kommen jetzt aus ganz anderen Ländern als früher. Die Budgetplanung wird zum Drahtseilakt.“
Wirtschaftswissenschaftler warnen, dass der kurzfristige Schutz einzelner Branchen langfristig eine Spirale von Gegenzöllen auslösen kann, die den globalen Handel beschädigen. Doch dies ist kein rein technokratisches Problem, sondern hat eine ganz reale, menschliche Dimension: Familienbetriebe gehen pleite, Fachkräfte wandern ab, und der gesellschaftliche Zusammenhalt wird gefährdet. Wenn Wirtschaftspolitik immer mehr zum Wettkampf einzelner Nationen wird, verlieren Menschen den Blick für die komplexen Verflechtungen, die eine Weltwirtschaft überhaupt erst möglich machen.
Doch die protektionistische Politik ist nicht nur ein Spiel mit der Wirtschaftsmacht, sondern auch mit der Demokratie. Denn hinter hohen Zöllen und Handelsschranken stehen politische Kalküle, die nationalistische Gefühle bedienen und zunehmend gesellschaftliche Spaltungen vertiefen. Man spürt dies auch in Städten wie Pittsburgh oder St. Louis, wo Stimmen laut werden, denen das Versprechen auf Wohlstand durch Globalisierung zerronnen ist. Die oft bunte und vielfältige Bevölkerung dieser Metropolen ringt um eine neue Erzählung, die Halt und Hoffnung verspricht – leider nicht selten auf Kosten des Miteinanders.
Wäre es anders, wenn Unternehmen und Politik stärker zusammenrückten, um die Herausforderungen gemeinsam anzugehen? Oder sind protektionistische Maßnahmen nur Ausdruck einer tieferen Verunsicherung, einer Angst vor Kontrollverlust in einer unüberschaubar gewordenen Welt? In Gesprächen mit Beschäftigten, Unternehmern und Experten zeigt sich, dass diese Fragen keine einfache Antwort kennen. Das poröse Gefüge aus Handel, Politik und gesellschaftlicher Realität wird täglich neu ausgelotet – unter dem stetigen Rauschen der Manhattan Bridge, ein Symbol für die unaufhörliche Bewegung und Veränderung, die diese Wirtschaft und damit das Leben ihrer Menschen prägt.