Auf den ersten Blick wirkt die Grafik schlicht, fast nüchtern: Balken, Zahlen, Überschriften. Sie zeigt die Ergebnisse einer Umfrage, die Menschen in Deutschland und Österreich zu den Quellen ihres „dauerhaften“ Vermögens befragt hat. Während harte Arbeit immer noch hoch im Kurs steht — keine große Überraschung —, zeichnen sich hinter den Zahlen subtilere, vielschichtigere Geschichten ab. Denn am nachhaltigsten scheint der Reichtum aus Beziehungen zu erwachsen, aus dem, was man mit anderen zusammen erschafft oder weitergibt: erfolgreichen Ehen, Familien, dem Vermächtnis der Vorfahren.
Es ist ein Paradox unserer Zeit, dass wir inmitten einer Gesellschaft, die Erfolg oft als individuelle Leistung und monetären Triumph feiert, leise erfahren: Die wahre Substanz des Reichtums liegt im Verbindenden, im Alltäglichen, im Unspektakulären. Schauen wir genauer hin.
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Der Kakao dampft leicht neben mir auf dem kleinen Café-Tisch im Münchner Glockenbachviertel, während ich dem Gespräch zwischen zwei Frauen lausche, beide irgendwo zwischen Ende dreißig und Anfang vierzig — die eine selbstbewusst, beruflich erfolgreich, die andere schwankend zwischen Burnout und Hoffnung. „Geld allein macht nicht glücklich,“ sagt die eine plötzlich. „Klar, du brauchst es. Aber was dich wirklich trägt, sind die Menschen, die dich halten.“ Es ist eine Einsicht, die sich keiner von beiden so plakativ auf ihre Fahnen geschrieben hätte, wohl aber leise mitschwingt.
Die Umfrage bestätigt etwas, was so viele aus ihrem Umfeld schon wissen: Die Bedeutung von Partnerschaften und Familien als Fundament bleibenden Wohlstands ist enorm. Eine bessere Ausbildung, kluge Sparpläne und beruflicher Ehrgeiz schaffen zwar den Boden, aber die Pflanze, die daraus wächst, lebt durch Vertrauen, Verbundenheit und generationsübergreifende Unterstützung. Sie liebt, streitet, wächst mit.
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Das Bild von Reichtum, das uns Sozialwissenschaftler und Ökonom*innen vermitteln, ist oft karg — Zahlenkolonnen, Investmentportfolios, finanzielle Renditen. Doch hinter diesen Berechnungen stehen Lebensgeschichten, Beziehungen und schlicht manchmal auch Zufall. Frido, ein älterer Herr aus dem oberbayerischen Umland, erzählt mir von der alten Bauernregel, die bei ihm zu Hause immer galt: „Wer die Familie zusammenhält, dem hält auch das Geld.“ Für ihn steht das nicht nur für finanzielle Stabilität, sondern für einen inneren Reichtum, den nichts aufwiegen kann.
Frido nennt es „einen Schatz, der mit keinem Euro der Welt zu kaufen ist“. Und wenn man ihn dabei beobachtet, wie er von seinen Enkelkindern schwärmt, wie stolz er auf die gemeinsame Ferienhütte ist, deren Grundstein seine Eltern gelegt haben, dann wird klar, dass wir hier von einem Vermögen sprechen, das weit über Bankkonten hinausgeht: Es ist ein Interieur an Erinnerungen, Verbindlichkeit und liebevoll gepflegtem Zusammenhalt.
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Natürlich ist das Bild nicht romantisch idyllisch, wer will das behaupten? Ehen scheitern, Familien zerbrechen, und nicht jede Vererbung bringt Glück. Aber gerade in den spröden Momenten zeigt sich, dass die Verbindungskraft von zwischenmenschlichen Beziehungen eine Form von Sicherheit bietet, die kein Börsencrash erschüttern kann.
Wie das genau aussieht, sagt auch die Zahl der Menschen, die Erbschaften als „dauerhaften Vermögenswert“ angeben: 27 Prozent in Deutschland nennen dies als Quelle ihres bleibenden Reichtums. In Österreich sind es sogar 44 Prozent, was ein interessanter kultureller Unterschied ist und zum Nachdenken einlädt. Warum werden Werte dort offenbar enger über Generationen weitergereicht? Wie prägt das die Erwartungen an das eigene Leben? Die Antworten liegen wohl irgendwo zwischen Tradition, familiärem Pflichtgefühl und einer Prise Pragmatismus.
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Die Befragten erklären auch, dass harte Arbeit zwar immer noch ein zentraler Faktor ist — der für viele auch mit Stolz verbunden bleibt —, doch vorbehaltlos daran zu glauben, dass sie allein zum Wohlstand führt, wäre schlicht zu kurz gedacht. Erfolg, sagen viele, sei eben selten eine Einbahnstraße. An den entscheidenden Abzweigungen braucht es mehr: Rückhalt, Verständnis, Solidarität.
Nehmen wir Claudia und Markus, ein Ehepaar aus Salzburg. Beide sind in ihren Berufen ehrgeizig, schaffen es aber erst durch das Zusammenspiel im Alltag, Kindererziehung und Karriere unter einen Hut zu bringen. Von äußeren Glanzlichtern ihrer Verdiensthöhe erzählt das kleine Doppelhaus, das sie zusammen mit den Großeltern renoviert haben — einem willkommenen Ort der Zusammenkunft, an dem Werte gelebt werden. Als Markus einmal durch eine schwere berufliche Krise fiel, war es nicht das Geld, das ihn auffing, sondern Claudias bedingungslose Unterstützung. „Das ist kein Kapital, das sich auf dem Konto zeigt, aber für mich ist es unbezahlbar“, sagt er.
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Was lernen wir daraus? Vielleicht, dass wir unsere Begriffe von „Vermögen“ und „Erfolg“ neu denken sollten. In Zeiten, in denen Digitalisierung und Globalisierung neue Herausforderungen an uns stellen, starre Konzepte von Privatem und Öffentlichem verschwimmen, erscheint die Tugend der langfristigen Bindung geradezu revolutionär.
Hier, in den leisen, oft unsichtbaren Verbindungen, liegt ein Potenzial, das gerade in unserer schnelllebigen Welt aufhorchen lässt. Das Vermögen einer Ehe, einer Familie oder einer langjährigen Freundschaft zeigt sich nicht nur in gemeinsamen Erlebnissen, sondern schafft ein Fundament, das Stürmen standhält.
Darum ist harte Arbeit wichtig, aber nur eine Facette in einem facettenreichen Mosaik. Nachhaltiger Wohlstand gedeiht aus dem Geflecht an gegenseitigem Engagement, Liebe und geteilten Erinnerungen. Die Grafik mag das nüchtern illustrieren — die Geschichten dahinter bringen Farbe ins Spiel.
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Während ich hier sitze und die letzten Schlucke Kaffee genieße, denke ich an die Menschen, deren Leben von solchen bindenen Kräften geprägt sind. Ihren Wert kann keine Zahl bemessen. Und vielleicht ist genau das die wichtigste Lektion, die diese Zahlenflut uns schenkt: Am Ende sind es nicht die Balkendiagramme, die uns reich machen — es sind die Menschen, die wir reich machen.