Die Sonne brennt auf den Gazastreifen, ein schmaler Landstreifen, der umschlungen ist von einer dichten Mauer aus Stacheldraht und Zäunen. Hier findet sich eine der dichtesten Bevölkerungen der Welt: über zwei Millionen Menschen leben in einem Gebiet, das oft als Freiluftgefängnis bezeichnet wird. Die Straßen sind voll von Kindern, die zwischen den Ruinen der letzten Konflikte spielen, während alte Männer in Cafés sitzen und Schach spielen, ihre Gesichter von der Sonne gegerbt. Diese Szenen aus dem Alltag, gezeichnet von einem fast greifbaren Gefühl der Resignation, sind jetzt im Umbruch.
In einem Treffen, das wie eine Gewitterwolke am Horizont aufzieht, hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bestätigt, was viele bereits davor vermutet hatten: Israel plant, den Gazastreifen komplett unter Kontrolle zu bringen – zumindest vorübergehend. Die Resonanz in den internationalen Medien war sofort da, ein Aufschrei der Empörung und der Besorgnis, der sich bis nach Brüssel ziehen könnte.
Ein Hauch von Nervosität ist in der Luft zu spüren, vor allem in den Doppelsitzern europäischer Diplomaten, die durch den Flur des EU-Parlaments huschen. Der Druck auf Deutschland, sich in der Frage der möglichen Sanktionen zu engagieren, wächst. Die EU muss sich positionieren in einem geopolitischen Schachspiel, in dem die Figuren längst ausgelegt sind. Und doch bleibt die Frage im Raum: Wie weit wird Europa bereit sein zu gehen, um den Frieden im Nahen Osten zu fördern oder wenigstens den eigenen moralischen Standards gerecht zu werden?
Auf den staubigen Straßen von Gaza sind die Stimmen weniger laut. Man spricht in gedämpften Tönen. Abu Ahmad, ein Verkäufer am Markt, schüttelt den Kopf, als er von den Plänen hört. “Ein weiteres Mal?”, murmelt er. “Es wird nichts ändern, nur noch mehr Zerstörung bringen.” In seinem Gesicht spiegelt sich die Geschichte von generationsübergreifendem Konflikt, die kleine Hoffnung, dass man eines Tages woanders leben könnte, weit weg von Granatbeschuss und der omnipräsenten Angst. Immer wieder sieht er die Gesichter der Kinder, die mit aufgemalten Zügen, voller Unschuld und Träume, durch die Straßen flitzen. „Sie verdienen nicht, in dieser Hölle aufzuwachsen.“
Auf der anderen Seite, in den Konferenzen der israelischen Führung, ist die Perspektive eine andere. Hier werden Strategien entwickelt, Entscheidungen gefällt, die sich weit weg abspielen von den Geschicken der Menschen in Gaza. Ein hoher Militärbeamter erklärt im Rahmen eines Briefings, das der Fotograf unbemerkt aufnimmt: „Wir brauchen einen sofortigen Zugriff auf alle Teile des Gazastreifens, um unsere nationalen Sicherheitsinteressen zu wahren.“ In der kargen Umgebung des Besprechungsraumes scheinen die Augen der Anwesenden zu funkeln, als ob sie die Einverleibung des Geschehenen als unabdingbar erachten. Doch bei jedem Wort schwingt auch eine gewisse Nervosität mit. Die Hackordnung ist fragil, der internationale Druck auf Israel wächst.
Ein nüchterner Bericht von Human Rights Watch darüber, wie zivile Infrastruktur im Gazastreifen während der letzten Konflikte zerstört wurde, ist auf den Tischen der europäischen Entscheidungsträger sehr präsent. Der Zwang zur Reaktion kann nicht ignoriert werden. Aber wie reagiert man auf eine solche Ausweitung der Kontrolle? Ist es moralisch vertretbar, wirtschaftlichen Druck auf einen der Hauptakteure auszuüben? Das Echo der Antworten in den Gremien hat denselben frustrierenden Klang wie das Geschrei von Aktivisten, die draußen auf den Straßen demonstrieren und nach Gerechtigkeit schreien.
Die Komplexität des Konflikts ist wie ein undurchdringliches Netz aus historischen Schuldzuweisungen und geopolitischen Strategien. Es gibt keine einfachen Antworten, nur einen fortdauernden Zyklus von Gewalt, Hoffnung und Enttäuschung. Wo stehen die Menschen in all dem? Im Schatten der bombasicheren Gebäude warten sie ungeduldig darauf, dass sie endlich erkennen dürfen, dass der gefühlte Krieg nicht ihr Krieg ist.
Es ist dieser schleichende Gedanke, der die Wunden in der psyches der Menschen hier vertieft. Ein allzu häufiges “Da sind sie wieder!” zieht sich wie ein roter Faden durch in den Gesprächen der Anwohner. „Warum wird über uns entschieden, ohne uns zu fragen?“, sagt eine Frau, die gerade ihre frisch gebackenen Fladen verkauft. Ihre Hände sind von Mehl und Sonne gezeichnet, ihre Stimme hat einen leisen, aber festen Klang. „Wir sind nicht nur Zahlen auf einem Bericht.“
Doch während die großen Schachzüge auf dem geopolitischen Spielfeld gemacht werden, bleibt die Frage, was aus den Leben der Menschen vor Ort wird, oft unbeantwortet. Während die Lichter in Jerusalem weiter strahlen, gleitet die Nacht über den Gazastreifen und in den Herzen der Menschen reift das Gefühl der Ohnmacht, während sie zu träumen scheinen von einem Frieden, der doch viel zu weit entfernt ist.