Im Wartezimmer einer kalifornischen Apotheke sitzt Clara, eine junge Frau Anfang dreißig, die geduldig ihr Handy durchscrollt. Sie hat gestern erfahren, dass sie nach der neuesten Empfehlung der US-Gesundheitsbehörde FDA eine weitere Corona-Impfung bekommen kann – aber nur, wenn sie eine bestimmte Risikogruppe erfüllt. Für sie, die keine schweren Vorerkrankungen hat, bleiben die Türen zu den neuesten unterstützten Impfstoffen verschlossen. „Ein bisschen fühlt es sich an, als ob ich außen vor gelassen werde“, sagt sie leise.
Diese Szene erzählt mehr als nur von einer medizinischen Entscheidung. Die FDA hat jüngst ihre BioNTech-Pfizer-, Moderna- und Novavax-Impfstoffe für eine eng definierte Zielgruppe zugelassen – und damit die Debatte ums Impfen in eine neue, komplexere Phase gehoben. Nicht länger geht es um den allgemeinen Schutz der gesamten Bevölkerung, sondern um eine selektive Absicherung jener, die besonders verwundbar sind oder extremen Schutz brauchen. Auf den ersten Blick wirkt das pragmatisch, ja fast vernünftig. Doch zwischen den Zeilen offenbart sich eine feine Risslinie im gesellschaftlichen Umgang mit einer Pandemie, die noch lange nicht vorbei ist.
Als die Impfstoffe im Frühling 2021 ihren Siegeszug antraten, richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die breite Immunisierung – eine kollektive Anstrengung gegen ein unsichtbares, scheinbar übermächtiges Virus. Doch die Realität ist schlichter und komplizierter zugleich: Viren mutieren, Menschen altern, Risikogruppen wachsen. Während die Millionen, die gesunde junge Erwachsene repräsentieren, die saisonalen Corona-Dosoierungen nur noch als lästiges Pflichtprogramm betrachten oder gar verschmähen, öffnet sich für andere ein Fenster zu einer differenzierten Gesundheitsvorsorge. Die FDA reagiert mit einer selektiven Zulassung, erweist also einem Teil der Gesellschaft eine ehrliche, fast zarte Aufmerksamkeit.
Und doch schwingt in dieser Regulierung eine leise Melancholie mit. Was bedeutet es, wenn der persönliche Schutz kein Recht mehr für alle ist, sondern ein Privileg, das sich an Bedingungen knüpft? Für die Älteren mit Immunschwäche, chronisch Kranken, Menschen mit Diabetes oder anderen belastenden Vorerkrankungen heißt das, nicht nur den neuen Moderna-, Pfizer- oder Novavax-Impfstoff gespritzt zu bekommen, sondern auch die ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Verletzlichkeit zu führen. Ein ständiges Erinnern daran, dass der Körper nicht mehr derselbe ist wie früher, und der gewohnte Schutz Grenzen hat.
Nora, eine 68-jährige Rentnerin mit Asthma, hat sich vor Tagen ihre erneute Novavax-Dosis abgeholt. Für sie ist es mehr als eine Impfung – eine kleine, zarte Hoffnung auf ein Stück Alltag, ein Abend mit Freunden, ein Konzert ohne Sorge. „Ich weiß, es ist nicht perfekt“, sagt sie, „aber ich nehme, was ich kriegen kann.“ Dass die FDA hier den Novavax-Impfstoff empfiehlt, gerade für besonders gefährdete Gruppen, bringt etwas Farbe in eine sonst graue Impfstofflandschaft, die vor allem von mRNA-Technologie dominiert wird. Novavax, der Proteinstoff-Impfstoff, gilt als gut verträglich, das hat viele Patienten überzeugt, die auf Nebenwirkungen sensibel reagieren.
Aus epidemiologischer Sicht ist diese Entwicklung nachvollziehbar. Der Fokus auf enger definierte Gruppen zielt darauf ab, Nutzen und Risiken besser auszugleichen. Die Impfstoffe gegen immer neue Virus-Varianten zu aktualisieren und ihnen gleichzeitig einen festen, aber begrenzten Einsatzbereich zu geben, entspricht einer rationalen, epidemiologischen Logik. Aber wie sieht die Debatte auf der Straße aus? In Cafés, am Arbeitsplatz oder in Familien wie Claras? Da vermischen sich nüchterne Informationen mit existenziellen Ängsten, mit Unsicherheiten, manchmal auch mit Verschwörungstheorien und Abwehrhaltungen. Für viele ist das zugelassene Wirkstoffangebot ein doppeltes Hoffnungszeichen und ein Spiegel der Pandemie-Müdigkeit.
Es ist gerade diese Spannung zwischen medizinischer Evidenz und gesellschaftlicher Wahrnehmung, die den Blick auf die neuesten Zulassungen der FDA schärft. Die Pandemie ist nicht vorbei, sie ist nur in eine neue Phase getreten, in der Schutz nicht mehr „für alle“ verstanden wird, sondern differenziert – und damit auch komplizierter. Clara scrollt weiter, bringt ihre neueste Booster-Anfrage im Kopf mit ihrem Alltag in Einklang, und weiß jetzt, dass sie die nächste Runde nicht einfach bekommen wird. Aber vielleicht bringt das auch eine leise Ruhe mit sich. Denn manchmal ist es weniger eine Frage von Mehr oder Weniger, sondern von Akzeptanz dessen, was gerade möglich ist. Ein kleiner, verblassender Trost in einer Zeit, in der der Impfstoff nicht mehr eine allumfassende Schutzmacht, sondern ein selektives Versprechen geworden ist.