Im Osten Deutschlands, in einer ehemaligen DDR-Stadt gesäumt von sanierenden Plattenbauten und Hochhäusern, sitze ich mit Dr. Claudia Fischer, einer Forscherin bei Bayer. Bei einer Tasse starkem Kaffee in einem schnörkellosen Konferenzraum, umgeben von whiteboards, die voller Diagramme und analytischer Notizen kleben, erzählt sie von den Herausforderungen und Zielen ihrer Abteilung. “Wir haben das klare Mandat, Innovationen voranzutreiben”, sagt sie mit einer Mischung aus Überzeugung und Anspannung.
Bayer, ein Gigant der Pharmaindustrie, ist in eine grundsätzliche Transformation verwickelt, die weit über die bloße Steigerung von Gewinnmargen hinausgeht. Diese Transformation ist von Historie, juristischen Schwierigkeiten und ungewissen Zukunftsaussichten geprägt. Der Konzern hat sich in den letzten Jahren in einem unaufhörlichen Kreislauf von Übernahmen und Rückschlägen wiedergefunden, angefacht durch die Milliardenforderungen aus Klagerechtsstreitigkeiten. Körper und Geist der Belegschaft scheinen täglich mit den Schatten vergangener Entscheidungen zu ringen.
“Wir haben die notwendigen Schritte erkannt”, sagt Dr. Fischer, während ihre Hände über den Tisch gleiten, als wolle sie die Probleme in den Raum greifen. “Wir stehen vor der Herausforderung, Vertrauen zurückzugewinnen.” Vertrauen? In einem Unternehmensumfeld, in dem die Schlagzeilen regelmäßig über die neuesten Klagen über Glyphosat und andere Produkte berichten? Es ist der schmale Grat zwischen Innovation und der Verantwortung für die ausgelösten Folgeschäden, auf dem Bayer balanciert.
Das Unternehmen hat immer noch den gleichen Stolz, der es zu einem der führenden Pharmak Konzerne der Welt gemacht hat. Gleichzeitig wird es von der professionellen Kritik und dem öffentlichen Druck erdrängt. Auf dem Tisch liegt ein umfangreicher Bericht über die Forschungsprojekte, die lange Zeit stillgestanden haben. Nun wurden sie wieder in Angriff genommen, in der Hoffnung, die gigantische Schuldenlast durch Altlasten abzubauen. Drei Milliarden Euro, die sich wie eine Schattenarmee über dem Konzern aufbauen.
In den engen Fluren des Unternehmens ist man sich des Unbehagens bewusst. Immer wieder werden Taktiken zur Schadensbegrenzung diskutiert, während gleichzeitig neue Produkte zur Marktreife gebracht werden sollen. Dabei stechen die Themen Nachhaltigkeit und ethische Verantwortung immer mehr in den Vordergrund. Aber wie viel Kraft bleibt, den immer lauter werdenden Forderungen der Investoren gerecht zu werden? “Nichts ist vom Tisch, alle Optionen sind offen”, wird ein Mitglied der Unternehmensführung zitiert. Dies klingt wie ein Aufruf zur Panik, ein Versuch, alle Flügel auf einmal auszubreiten und fliegen zu lernen.
In den modernen Labors, die mit fortschrittlichster Technologie ausgestattet sind, beginnt es zu arbeiten. Der Geruch von Desinfektionsmittel und frischem Papier mischt sich mit der Anspannung in der Luft. Hier sitzt ein Team engagierter Wissenschaftler, junge Talente mit Ideen, die sich wie frischer Wind durch ein eingestaubtes System ziehen. “Die nächste Generation von Behandlungen könnte bahnbrechend sein”, sagt Dr. Fischer. Ihre Augen leuchten, wenn sie von einem neuen Ansatz in der Krebsforschung spricht, der möglicherweise bahnbrechend sein könnte. Ein Ansatz, der nicht nur den Aktienkurs, sondern auch die Vorstellung von Bayer als einem verantwortungsvollen Akteur in der Gesellschaft zurückverändern könnte.
“Wir sind Teil der Lösung, nicht Teil des Problems”, sagt sie mit Nachdruck. Der Satz schwingt in dem Raum nach und trägt die Hoffnung eines Unternehmens, das versucht, aus seinen Fehlern zu lernen. Doch die Frage bleibt: Kann man mit einem Erbe von klagenden Bürgern und leidenden Menschen neu anfangen? Während ich ihr lausche, wird das Bild klarer: Vor Bayer liegen nicht nur neue Medikamente, sondern auch die Herausforderung, das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen.
Das ist der wirkliche Balanceakt – zwischen der Verantwortung für Vergangenes und dem Drang zu neuer Größe. Ein Weg, der gerade erst begonnen hat, mit vielen Ungewissheiten an den Seiten.