Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen auch die Prioritäten, die den deutschen Vertehaushalt prägen. September ist traditionell der Monat, in dem die Weichen für das kommende Jahr gestellt werden. Ein gewohnter Rhythmus wird dabei durch das fossile Rauschen der Weltlage unterbrochen – die Unsicherheit, die Russland mit seinem Übergriff auf die Ukraine mit sich brachte, hat die Luft in den Gängen des Bundesministeriums für Verteidigung spürbar aufgeladen.
Dort, verborgen zwischen den Aktenordnern und überfüllten Schreibtischen, liegt ein Dokument, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Es listet 81 größere Rüstungsprojekte auf, allesamt strategisch wichtig für die Bundeswehr. Die Namen klingen wie aus einem Actionfilm – „München“ und „Black Hawk“, „Boxer“ und „Fuchs“ – echte Gerichtshausnamen, die allerdings den pragmatischen Lebensalltag der Soldaten prägen sollen. Während außen das laute Geschrei der Weltpolitik tobt, zeugt dieses vertrauliche Schriftstück vom entschlossenen Willen, den militäreigenen Rüstungsbau anzukurbeln.
Der Ort, an dem viele dieser Entscheidungen getroffen werden, ist ein souterrainartiger Bereich im Berliner Ministerium. Ein kleiner Raum, der von dröhnendem Neonlicht erhellt wird, in dem Schwaden von Kaffeegeruch und raschelndem Papier eine wenig einladende Atmosphäre schaffen. Hier, umgeben von einer Menge Berater und Spezialisten, sitzen die Vorstände und strategischen Denker der Bundeswehr. Ihre Gespräche schwanken zwischen technischer Präzision und dem schleichenden Blick auf den globalen Militäraufbau. Ein junger Beamter, vielleicht Anfang dreißig, schiebt seine Brille zurück und betrachtet eine PowerPoint-Präsentation mit dem Titel „Zukunftsvision 2030“.
„Wie viele Euro brauchen wir noch für die Digitalisierung der Streitkräfte?“, fragt er kaum hörbar, mehr an sich selbst als an die Runde gerichtet. Das Geräusch des Stuhls, auf dem er sitzt, hat etwas Eisenhartes; es ist ein Bild, das von der Last des Komplexes zeugt, in dem er sich bewegt.
Wir sehen, wie durch ein doppelt verglastes Fenster ein paar Uniformierte vorbeischlüpfen – auf dem Weg zu einer Besprechung über unbemannte Systeme. Das Wort „Drohne“ schwebt wie ein schillerndes Ungetüm im Raum, und man merkt, dass nicht jeder den kleinen, digitalen Todesengel als notwendigen Fortschritt begreift. Doch hier, in diesem Raum, löst sich der Widerstand in der starren Logik der Notwendigkeit auf.
Ein weiteres Projekt der Liste trägt den vielversprechenden Namen „Schwaben“. Hierbei handelt es sich um eine Modernisierung der Panzerhaubitze 2000. Über 100 Millionen Euro sollen in die Hand genommen werden, um das Feuerkraft-System auf einen moderneren Stand zu bringen. „Das Erstaunliche an diesem Konzept ist, dass wir damit nicht nur die aktuellen Anforderungen, sondern auch zukünftige Konfliktszenarien im Kopf haben“, erklärt eine erfahrene Mitarbeiterin, während sie eine Skizze erörtert. Ihre kühne Vorhersage misst sich an der nebulösen Vorstellung von möglichen Friedenstruppen, die in nicht allzu ferner Zukunft auf dem Kontinent eingesetzt werden könnten.
Im gleichen Atemzug muss man über die Frage nachdenken, wie wir hier an diesem Punkt gelandet sind. Die Antwort, man muss sich nicht schämen dafür, ist kompliziert, aber auch klar – Gesellschaftlich wird die Bundeswehr nicht nur als militärische Kraft, sondern als ein Bollwerk künftiger Stabilität betrachtet. Und so zieht sich der Gedanke durch die Sitzungen: Was wäre, wenn Deutschland nicht mehr bereit ist, sich zu verteidigen?
Für manch einen, der an diesem Tisch sitzt, ist die Auflistung dieser Projekte mehr als ein Zahlenwerk; es ist die Reflexion eines deutschen Selbstverständnisses. Hier wird nicht nur über Panzer und Flugzeuge geredet; hier wird Identität verhandelt. „Die 81 Punkte“, sagt einer der älteren Mitarbeiter mit einem spöttischen Unterton, „sind das neue politische Testament.“
Das Aufstellen dieser Liste, die „Einkaufsliste der Bundeswehr“, ist auch ein Kunststück des psychologischen Überlebens; ein geheimes Bekenntnis, dass wir auf diese Weise die Sorgen der Bevölkerung beruhigen können. Eine Liste, die zwar auf die Aufrüstung, aber gleichzeitig auf die Denkweise drängt, sich wieder als souveräner Staat zu positionieren – ein Land, das nicht nur vom Verbündeten abhängig sein möchte.
Der Weg, der vor ihnen liegt, ist lang und von Hintergedanken durchzogen. Doch in den teils schroffen, teils schüchternen Mienen der Menschen im Raum spiegelt sich auch ein Funken Hoffnung wider, dass die Freiheit, die sie zu verteidigen versuchen, nicht rein militärisch ist. Dass hinter den Zahlen auch das Verlangen nach Stabilität steht – sowohl national als auch international.
So fließt der September mundtot und gleichzeitig kriselnd ins Land; ein Monat, bepackt mit Tücken, die die Futuristen der Rüstungsforderung zwingt, zurückzuschauen und gleichzeitig visionär nach vorne zu denken. Die Welt ist ungewiss, die technischen Listen werden gefüllt – und der Weg bleibt steinig. Immer in der Hoffnung, dass damit auch echte Sicherheit für die Bürger entsteht, fernab von Panzern und Flugzeugen.