Freundschaft auf der Klinge: Indien und China beim Shanghai-Gipfel
Ein warmer Wind bläst über das geschäftige Shanghai, wo die Wolkenkratzer wie grell leuchtende Wachtürme in den Himmel ragen. In einem Konferenzraum eines Luxushotels, umgeben von Glas und Neon, bereiten sich Politiker auf das Treffen vor: die Vertreter der Shanghai Cooperation Organization (SCO). Auf den ersten Blick scheint es, als handele es sich um ein farbenfrohes Spektakel der Diplomatie, aus dem neue Freundschaften entstehen könnten. Doch der Schein trügt, denn unter der Oberfläche brodeln alte Konflikte und Misstrauen.
Der indische Premierminister Narendra Modi und Chinas Staatspräsident Xi Jinping – die beiden Giganten Asiens, deren Länder sich durch Gebirgszüge und jahrzehntelange Rivalität voneinander abgrenzen – nehmen inmitten der Verhandlungen Platz. Es sind nicht nur Staatsoberhäupter, die hier zusammentreffen. Es sind zwei Kulturen, zwei Geschichten, die in den letzten Jahrzehnten öfter auf Konfrontationskurs gingen, als dass sie sich nahegekommen sind.
Xi, der mit seiner bekannten, ruhigen Gelassenheit auftritt, zielt in seinen Reden auf Gemeinschaft ab. „Wir müssen nachhaltige Beziehungen aufbauen“, verkündet er in einem feierlichen Ton, während die Kameras auf ihn gerichtet sind. Modi hingegen blickt über den Rand seiner Brille und nickt zustimmend, seine Miene maskiert jedoch die innere Unruhe. Die Worte sind weich, doch der Kontext ist hart. Denn hinter dem freundlichen Lächeln der beiden Staatschefs verbergen sich nationale Ambitionen und tief verwurzelte Ängste.
Im Abseits der offiziellen Pressekonferenzen, in den schummrigen Gängen des Hotels, trifft man auf Delegierte, die vom Alltag der Politik gezeichnet sind. Ihre Gesichtszüge tragen die Markierungen von Kompromissen – starren Zeitplänen und der ständigen Sorge um Sicherheit. Angela, eine junge Dolmetscherin aus Neu-Delhi, teilt mit leiser Stimme ihre Bedenken. „Dort, wo die Verhandlungen stattfinden, ist der Raum von Hoffnung erfüllt“, sagt sie. „Aber einmal hinter verschlossenen Türen, spürt man sofort die Spannung. Es gibt Dinge, die niemals gesagt werden.“
Als die Staatsoberhäupter auf einer gemeinsamen Pressekonferenz stehen, drängt sich der Gedanke auf, dass das Geschichtenerzählen hier die größte Waffe ist. Xi spricht über eine „Erneuerung der regionalen Zusammenarbeit“ – Worte, die wahrlich verführerisch klingen und doch im Nebel der Missverständnisse verloren gehen. Modi bleibt stoisch; sein Blick fällt oft auf die Fragen der Journalisten. Keiner der beiden redet über die Grenzen, die sie voneinander trennen, sei es am Himalaya oder in den Gewässern des Indopazifik.
Am nächsten Tag stehen sich die beiden Regierungschefs erneut gegenüber, dieses Mal im Publikum einer kulturellen Veranstaltung. Indische Tänzerinnen in bunten Saris unterhalten die Zuschauer mit traditionellen Darbietungen. Modi scheint in diesem Kontext etwas weicher zu werden, als er den Applaus genießt. „Wir sind mehr als Rivalen“, murmelt er weich. „Wir sind Nachbarn.“ Doch das Echo dieser gewählten Worte hallt längst nicht so stark wie die Realität der geopolitischen Spannungen.
Sommerliche Märkte in Mumbai und Peking florieren, wo neueste Elektronik und indische Gewürze angeboten werden, aber hinter der Fassade brodelt es. Der Wirtschaftskrieg zwischen den beiden Nationen ist in vollem Gang – jede Entscheidung wird analysiert, jede Geste unter die Lupe genommen. „Es reicht nicht, sich einfach nur zu umarmen", fügt ein Analyst hinzu, den man in einem Café in der Nähe des Hotels trifft. „Es geht darum, Vertrauen zu etablieren. Und das wird nicht mit freundlichen Worten erreicht, sondern durch konkrete Taten.“
In den Gleisen der Geschichte arbeiten Xi und Modi in diesen Tagen daran, freundliche Worte in eine neue Multilateralität zu verwandeln. Der Gipfel ist sowohl ein Fest der Diplomatie als auch ein Schachspiel, in dem jeder Zug von Bedacht und Taktik geprägt ist. Und während sich ein gewisser Geist der Zusammenarbeit zeigt, bleibt im Hintergrund die Frage: Wie lange wird diese Inszenierung der Harmonie den Realitätstest überstehen?
Die Gespräche am runden Tisch enden, und jeder geht seiner Wege, zurück zu den Herausforderungen seiner Nationen. Ein kurzer Zusammenstoß zweier mächtiger Nationen, geprägt von Ansichten, die sich verflechten und doch diametral entgegengesetzt scheinen. Während sich die Delegierten in den Straßen Shanghais verlieren, bleibt das Bild des Gipfels zurück – eine Verschmelzung von Ambitionen und Ängsten und das ständige Schwingen zwischen Hoffnung und Misstrauen in der wechselhaften Beziehung zwischen China und Indien.
Am Ende des Treffens wird wenig von den erprobten Beschlüssen übrigbleiben, die im Schatten der Widersprüche stehen. Stattdessen bleibt das Bild im Kopf, wie Modi und Xi an diesem besonderen Nachmittag im Konferenzraum A saßen, in einem aufgeblähten Katalog von Freundlichkeit inmitten tiefgehender Differenzen. Das Bild, das in den Köpfen der Anwesenden entsteht, ist das Bild einer schwindenden Hoffnung – und jeder fragt sich: Was kommt als Nächstes?