In einem charmanten Café an der Kreuzung zwischen zwei geschäftigen Straßen in Berlin sitzt ein Mann mittleren Alters mit einem Laptop vor sich. Unter den bunten Lichtern und dem leisen Murmeln der Gespräche um ihn herum, tippt er eifrig auf der Tastatur und verfolgt die neuesten Wirtschaftsnachrichten. „3% Wachstum“, murmelt er leise. Die Augen blitzen auf, Erinnerungen an Parolen über Resilienz und Erneuerung schwirren in seinem Kopf – das Land schlägt sich wacker durch die rauen Gewässer der wirtschaftlichen Unsicherheiten. Inmitten des schleichenden Aufstiegs pirscht sich jedoch eine andere Realität an: der anhaltende Anstieg der Unternehmensgewinne.
Diese 3% Wachstum, die im jüngsten Bruttoinlandsprodukt-Bericht angekündigt wurden, bedeuten eine Rückkehr zu dem, was viele als „Normalität“ empfinden – sofern es im aktuellen wirtschaftlichen Klima überhaupt noch einen stabilen Normalzustand gibt. Während die Welt weiterhin mit den Nachwirkungen der Pandemie, geopolitischen Spannungen und einem unsicheren Energiemarkt kämpft, zeigen die neuen Zahlen, dass der deutsche Wirtschaftsmotor, ähnlich einer gut geölten Maschine, wieder einige Gänge zulegen kann. Doch welche Faktoren stecken hinter diesem unerwarteten Anstieg?
Die Rückkehr des Wachstums ist insbesondere in den Sektoren zu sehen, die im letzten Jahr stark unter Druck geraten sind: Dienstleistungen, Einzelhandel und die überfällige Wiederbelebung des Tourismus fangen an, sich zu erholen. Restaurants, die zuvor geleert und mit „Geschlossen“-Schilden behängt waren, füllen sich wieder mit leben, die Luft steckt voller Geselligkeit. Und auch die Einzelhändler atmen auf: Nach einem bescheidenen Winter berichten viele von kräftigen Frühjahrsumsätzen.
Doch während die Konsumenten langsam ihr Vertrauen zurückgewinnen und wieder bereit sind, Geld auszugeben, gibt es eine zweite, weniger greifbare Ebene, die reflektiert, was dieses Wachstum tatsächlich bedeutet. Die Unternehmensgewinne schießen in die Höhe, teils durch intelligente Kostensenkung und Automatisierung, teils durch die Preissteigerungen, die die Inflation mit sich brachte. Unternehmen wie die bekannten Lebensmittelhersteller und digitale Plattformen melden Rekordgewinne. In einem Kontext, in dem bestehende sozioökonomische Gräben sich nur vertiefen, scheint eine Kluft zwischen der Errungenschaften der Unternehmen und denen der Durchschnittsbürger zu wachsen.
Das Bild wird durch die vagen Schlagzeilen in der Presse vervollständigt. Die Unternehmensgewinne sind wie ein Gespenst, das die Schwellen von Wohlstand und Wohlstandsanhedonk prägt und dennoch im Hinterkopf der Verbraucher schwebt. Zwar schafft das Geld, das in den Taschen der Unternehmen zirkuliert, Investitionspotential und schafft vielleicht Arbeitsplätze in der Zukunft, doch drängt sich immer mehr die Frage auf: Wer profitiert wirklich von diesem Wachstum? Ist es nur eine Fata Morgana in einer Wüstenlandschaft, in der der Durchschnittsbürger an der Kante des wirtschaftlichen Abgrunds steht?
Ein Beispiel – die Geschichte von Miriam, einer selbstständigen Floristin in einer Metropole. Sie liebt, was sie tut, und nachdem sie die unsicheren Monate letzten und in ihren bescheidenen Laden investiert hat, sieht sie sich nun dennoch mit der Realität konfrontiert, dass die Kosten für Rohstoffe und Miete gestiegen sind, während ihre eigenen Preise nur zögerlich anziehen. „Ich möchte nicht, dass meine Blumen unbezahlbar werden“, seufzt sie und verändert im nächsten Moment den Kurs ihrer Preise, entscheidet sich, fortzufahren, aber bleibt besorgt über die ständigen Preissteigerungen.
An Miriams Beispiel wird deutlich, wie schmal der Grat ist, auf dem sich das gegenwärtige Wachstum abspielt. Solide Unternehmensgewinne befreien nicht automatisch das kleine Unternehmen an der Ecke von der Kluft, die ebenso bedeutend ist wie der treue Umsatzbericht der Großkonzerne. In einer Zeit, in der Löhne oft nicht Schritt halten können mit den Lebenshaltungskosten, wird das Wachstum nicht unbedingt als Indikator für den kollektiven Wohlstand aufgefasst, sondern als eine Erinnerung daran, wie sehr die Gesellschaft weiterhin darum kämpft, Gleichgewicht zu finden.
Die jüngsten Wirtschaftszahlen mag man als erfreulich einstufen; optimistische Stimmen begrüßen sie als Zeichen einer Rückkehr zur Stabilität. Doch während die Feierlichkeiten bei den Unternehmensführern und Investoren vielleicht lauter sind, bleibt die Realität für viele Menschen komplizierter. Das Bild von den sprudelnden Gewinnen und dem florierenden Wachstum kann leicht von der anderen Realität überdeckt werden, die in den Schichten der Gesellschaft verborgen ist – einer, in der das Eigene Ansehen und die Sicherung des Lebensunterhalts Schritt halten müssen mit dem Gewinnstreben großer Unternehmen.
So sitzen viele, wie jener Mann in dem kleinen Berliner Café, nicht nur mit einem Laptop, sondern auch mit Fragen und Unsicherheiten. Wird das Wachstum, das jetzt als so ermutigend wahrgenommen wird, in der nächsten Welle von Herausforderungen standhalten? Oder wird es, ähnlich wie die Blumen in Miriams Laden, verdorren, bevor wir die Schönheit und den Nutzen wirklich erkennen konnten? In der Wirtschaft, wie im Leben, bleibt der wahre Wert oft verborgen – und was wir als Fortschritt feiern, könnte auf Sand gebaut sein.