Manchmal sind es die Rollen, die man nicht annimmt, die unsere Geschichten prägen – und Liam Neeson ist dafür ein leuchtendes Beispiel. Der Schauspieler, der heute als König der düsteren Rachethriller gefeiert wird und in Kürze als Hauptfigur eines „Naked Gun“-Reboots die Kinoleinwände erobert, hätte schon viel früher auf der großen Actionbühne stehen können. Und nicht irgendeiner, sondern der vermutlich kultigste Geheimagent der Kinowelt: James Bond.
Das klingt zunächst fast unglaublich. Gerade nach Neesons triumphalem Erfolg mit Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ schien der Weg zum Doppelnull-Agenten geebnet. Barbara Broccoli, die Produzentin der Bond-Filme, hatte den irischen Schauspieler in den 1990er Jahren mehrfach kontaktiert. Nach dem Gespräch mit Neeson, der ein klares Interesse signalisierte, hätte eigentlich nur noch das Studio seinen Segen geben müssen. Doch es kam anders. Äußerst privat, höchst persönlich sogar, fiel die Entscheidung, die nicht nur Neesons Karriere, sondern womöglich das gesamte Bond-Universum nachhaltig veränderte.
Während der Dreharbeiten zu „Nell“ in den Südstaaten der USA kam es zu jenem schicksalhaften Moment: Natasha Richardson, seine damals noch ungeheiratete Partnerin, stellte ihm eine einfache, aber endgültige Bedingung. „Liam, wenn du James Bond spielst, dann heiraten wir nicht.“ Eine klare Ansage, die sich aus einer tiefen Sorge speiste, aber auch aus einer konkreten Vorstellung davon, was das Bond-Sein mit einer Beziehung anstellen konnte. Theater, Filmsets, Glamour und vor allem die Vielzahl der „atemberaubenden Frauen in verschiedenen Ländern“, die zum Bond-Mythos gehören, machten Richardson zweifeln. Das ultimative Dilemma: Glück in der Liebe oder das Leben als britische Geheimagent-Ikone.
So fiel die Rolle schlussendlich an Pierce Brosnan, einen weiteren Iren mit den nötigen Zutaten für 007. Und der Rest ist, wie man so schön sagt, Filmgeschichte: Brosnan wurde zum charmanten Gesicht einer neuen Bond-Generation, die mit „GoldenEye“ einen Kult-Klassiker schuf – inklusive der unvergesslich pixeligen Version bei Rare’s legendärem N64-Shooter, die Liam Neeson heute wohl vorstellt wie ein „Was-wäre-wenn“-Gespenst.
Dass Liam Neeson die Bond-Rolle nicht annahm, zeigt eine andere, sehr menschliche Facette des Schauspielers. Auch nach der Entscheidung konnte er es nicht lassen, seine Ex-Frau ein wenig zu necken: Die traurige Ernsthaftigkeit des Bond-Themas wurde gelegentlich mit gespielt gezückten Fingern und der berühmten Titelmelodie durchbrochen. Es war ein stiller Tribut an eine Rolle, die er keineswegs als unattraktiv empfand, sondern die er aus Liebe ablehnte. Ein Bond, der auf die großen Waffen verzichtet – kein schlechtes Konzept, zumindest im echten Leben.
Diese Wendung seiner Biografie offenbart einen Schauspieler, der mehr nach dem Sinn hinter den Rollen fragt als nach bloßem Ruhm – auch wenn er sich in den folgenden Jahren durchaus als Actionstar etablierte, mit Filmen, die teils auch die Tragik eines vorzeitigen Abschieds thematisieren. Denn Neeson bevorzugte keine Charaktere, die in der Versenkung verschwanden – zumindest nicht ohne Grund.
Dass er einmal eine weitere ikonische Rolle ablehnte, klingt fast schon legendär: Der Part des Boromir in Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Trilogie war angeblich für ihn vorgesehen. Doch Neeson, mit einem Instinkt fürs große Ganze, zögerte. Ein Held, der bereits im ersten Film sterben muss? Für Neeson, der gerne Figuren mit nachhaltiger Wirkung spielte, kein schmackhafter Biss. So ging die Rolle an Sean Bean, der es wiederum meisterlich verstand, auch mit dem Tod auf der Leinwand Karriere zu machen – und nebenbei Verbindungsmann zwischen Bond- und Fantasy-Abenteuern zu sein.
Zwischenzeitlich griff Neeson dann doch in ein galaktisches Universum ein: Als Jedi-Meister Qui-Gon Jinn in „Star Wars: The Phantom Menace“ stellte er sich den Kreaturen einer weit, weit entfernten Galaxis – ein Auftritt, den er Jahre später in der Serie „Obi-Wan Kenobi“ noch einmal als geisterhafte Erscheinung wiederholte. Doch auch hier zeigte Neeson mit einem offenen Geständnis, dass er gewisse Grenzen zieht. Er nannte die Flut an „Star Wars“-Spin-offs eine Art Verwässerung des ursprünglichen Mythos. Ein modernes Syndrom, das viele große Franchises plagt: Wenn das Universum zu weit auseinanderdriftet, leidet die Magie.
Liam Neeson hat also nicht nur in seinen Rollen, sondern auch in seinem Karriereweg eigene Maßstäbe gesetzt. Er ist kein Getriebener von Ruhm oder Erfolg um jeden Preis, sondern jemand, der das persönliche Glück über das Rampenlicht stellt – ein Umstand, der trotz aller Ironie, Melancholie und Nuancen das Bild eines Schauspielers zeichnet, der das Herz an den richtigen Fleck hat. Bond wäre womöglich ein anderer ohne ihn geworden – und die Welt hat darüber hinaus einen ganz besonderen Neeson bekommen.
Die Atmosphäre dieses Dilemmas, es ist die eines Mannes mit der Last großer Entscheidungen, bei denen karrierebestimmende Chancen gegen intime Gefühle austariert werden. Und so zeichnet sich darin vielleicht am deutlichsten jene feine Ironie des Schauspielerdaseins ab: Dass die Geschichten, die von uns erzählt werden, manchmal jene sind, die wir nicht mitspielen. So bleibt Liam Neeson nicht nur ein Schauspieler unserer Zeit, sondern auch ein heimlicher Philosoph des Films, der weiß, wann er „Action“ sagt und wann er „Stopp“.