Ein Schatten über Nevermore: Die zweite Staffel von Wednesday
Es war einmal eine Zeit, in der das Schaurige und Unheimliche als etwas Exotisches galt. Im Weichzeichner der Welt von Wednesday wird diese Vorstellung auf eindrucksvolle Weise reanimiert. In den düsteren Gängen von Nevermore Academy findet sich eine Schar von Schülern, die allesamt aus der Norm fallen. Die ersten Streifzüge dieser außergewöhnlichen Institution führten im November 2022 die Zuschauer in die Abgründe des Unbekannten, mit Mittwoch Addams als bedrohlich-charismatischem Ankerpunkt. Doch in der aktuell laufenden zweiten Staffel, die mit einem düsteren Cliffhanger endete, wird diese Heiterkeit überschattet von Plänen, Geheimnissen und schockierenden Wendungen.
Ein Blick auf die letzten Momente der ersten Hälfte der zweiten Staffel lässt das Herz eines jeden Fans höher schlagen: Mittwoch, gespielt von der hochgelobten Jenna Ortega, durchbricht die Grenzen zwischen Heldin und Verlorenem. Mit einer Vorahnung, die die gesamte Handlung dominiert, wird sie von ihrem ehemaligen Freund Tyler, der sich als gefährlicher Hyde herausstellt, aus einem Fenster geworfen. Das Bild des fallenden Mädchens symbolisiert nicht nur den physischen Aufprall, sondern auch den emotionalen Sturz – ein Schatten, der über dem gesamten Handlungsstrang schwebt.
Die Vorahnung von Tod und Gefahr ist ein sanftes, aber ständiges Flüstern, das durch die Hallen von Nevermore hallt, verstärkt durch die unaufhörlichen Morde, die die Stimmung aufladen. Die Spannung wird durch den Anwesenheit eines mysteriösen Mörders, der gnadenlos zuschlägt, ins Unermessliche gesteigert. Immer wieder wird durch kleine, aber entscheidende Details auf das Schicksal der Outcasts angespielt – ein Aufeinandertreffen der Verzweiflung und der Hoffnung.
Die Charakterentwicklungen in dieser Staffel sind ebenso packend wie die erzählerische Spannung. Die Wolfsgestalt von Enid Sinclair, eindrucksvoll gespielt von Emma Myers, ist nicht nur ein Zeichen ihrer inneren Stärke, sondern auch eine Metapher für die Unsicherheiten eines Heranwachsens. Sie findet sich in einem Strudel von Beziehungen wieder, die von Zweifeln und Ängsten geprägt sind. Ajax, der männliche Protagonist, wird zur unzugänglichen Ferne – die Liebe, einst hell erleuchtet, ist nun von den Schatten der Vergangenheit und der aktuellen Bedrohung eingehüllt.
Und was ist mit Tyler Galpin? Hunter Doohan verkörpert eine Figur, die zwischen Gut und Böse oszilliert. In der ersten Hälfte der zweiten Staffel ist er gefangen in seinen eigenen Dämonen, die durch die Verwandlung in seinen Hyde-Anteil sichtbar und fühlbar werden. Tyler ist ein Produkt seiner Umgebung, gefangen in der Umgebung der Willow Hill Anstalt – ein Gefängnis, das mehr ist als nur aus Ziegeln und Mörtel. Der Ort wird zum Spiegel seiner inneren Qualen, und der Ausbruch in die Freiheit lässt die Frage offen, ob diese Freiheit nicht der Beginn seines persönlichen Untergangs ist.
Aber der Schrecken beschränkt sich nicht nur auf den Jungen in Hyde-Gestalt. Die Rückkehr von Laurel Gates, eindrucksvoll dargestellt von Christina Ricci, bringt die Frage auf, was mit den Geheimnissen der Vergangenheit geschehen ist. Riccis Rückkehr als die, die einst die junge Morticia Addams verkörperte, ist ein faszinierendes Spiel mit der Nostalgie. Hier ist die Vergangenheit nicht nur eine Erinnerung, sondern ein lebendiges Gewebe, das die Gegenwart durchdringt.
Morticia und Gomez Addams sind ebenfalls nicht von den Schatten ihrer eigenen Geschichte befreit. In ihrer Rolle als Eltern sind sie konfrontiert mit den Herausforderungen und der Komplexität des Erziehens eines Kindes mit solch außergewöhnlichen Fähigkeiten. Die Beziehungen zwischen den Charakteren könnten nicht gespannter sein, die Dynamik zwischen Macht und Einfluss entblättert sich in den dunklen Ecken von Nevermore und über die Stränge der Addams-Familie hinweg.
Abgerundet wird das Geflecht aus Spannung, Beziehung und düsterem Humor durch die kalte, einladende Präsenz von Principal Barry Dort, der selbst ein Geheimnis in seinen Aussagen trägt. Verkörpert durch Steve Buscemi, wird er zum prägnanten Zentrum der Manipulation und des Unheils, in das Morticia unwissentlich verstrickt wird. Diese Komplexität der Beziehungen generiert ein bittersüßes Gefühl, die Ungewissheit um schnelles Unglück, das in vielen der Figuren wohnt.
Selbst Pugsley, der kleine Bruder der Heldin, leidet unter den Herausforderungen, die sich ihm bieten. Sein Problem beim Einleben in diese neue, schaurige Schule ist humorvoll und zugleich melancholisch. Sein Entschluss, einen Zombie zu adoptieren, mag absurd erscheinen, doch er offenbart die Einsamkeit und das Bedürfnis, Akzeptanz zu finden. Als der Zombie schließlich ausbricht, wird deutlich, dass sich das Unheimliche auch im Kleinsten manifestieren kann.
Mit all dem nimmt das Universum von Wednesday den Zuschauer mit auf eine Reise, die weit über die blutigen Morde und das Integra der Meucheltaktik hinausgeht. Es bietet einen geschärften Blick auf menschliche Beziehungen, Identität und die Frage, wie sehr unsere Kindheit und die Welt um uns herum uns prägen können. Ja, es ist düster, ja, es ist unheimlich, doch da ist auch eine unterirdische Lebendigkeit und eine Hoffnung, die selbst dem finstersten Ort eine gewisse Helligkeit verleiht – ein Flüstern in der Dunkelheit.
Wenn die erste Hälfte der zweiten Staffel ihren kühlenden Schatten über die Videowelt wirft, bleibt sie einem treuen Publikum in Erinnerung, das zwischen Faszination und Besorgnis taumelt. Was wird geschehen, wenn die nächste Folge über die Bildschirme flimmert? Nur die Zeit – und die Gestalt eines mutigen Mädchens in Schwarz – wird es zeigen.