Unter den blinkenden Lichtern der Pekinger Tiangong-Straße, wo zur Mittagszeit die Dampfwagen durch die Seitenstraßen rattern und Verkäuferinnen geschäftig ihre telefonvermittelten Kurieraufträge bestätigen, wächst eine neue Welt. Keine Welt aus Stahl und Beton allein, sondern eine, die aus Datenfäden und Algorithmen gewebt wird – ein Kosmos, in dem Künstliche Intelligenz längst kein abstraktes Zukunftsversprechen mehr ist, sondern längst tägliche Realität.
Seit Monaten hat sich das Drehbuch der globalen Technologiegeschichte neu geschrieben. Washingtons Griff, seine mächtigen Sanktionen und Exportverbote, wirkt wie das Festziehen eines engen Korsetts in Peking. Doch statt zu ersticken, atmet Chinas KI-Ökosystem in diesen Einschränkungen erst richtig tief durch. Es entfaltet eine Kraft, getragen von Milliardeninvestitionen und strategischen Allianzen, die weniger an Abhängigkeit denken, sondern an Autarkie. Unbekümmert von der Abhängigkeit von amerikanischer Hardware und Software, wird ein eigener, ambitionierter Weg eingeschlagen.
Ziwei, eine junge Ingenieurin in einem Spitzentechnologiepark im Süden Pekings, sitzt an einem gewaltigen Bildschirmzentrum. Auf dem Monitor flackern Millionen von Bildpunkten, Datenströme aus autonomen Fahrsystemen, Stimmen aus digitalen Assistenten und Chatbots, die menschenähnliche Gespräche simulieren. „Wir sind hier, wo es wirklich passiert“, sagt sie zwischen Hoffnung und Pragmatismus. „Natürlich war es früher leichter, wenn man auf Standards und Technologie aus den USA zurückgreifen konnte. Aber stellt euch vor, wie viel stärker wir jetzt werden, wenn wir alles selbst beherrschen.“
Diese Aussage ist mehr als bloße stoische Zuversicht. Sie offenbart das Dilemma eines Landes, das sich auf der internationalen Bühne als Vordenker in der KI-Entwicklung sehen will – und gleichzeitig von Restriktionen, die durch Washington kommen, eingeengt wird. Das Ziel Pekings ist klar: ein eigenständiges KI-Ökosystem, das hardwareseitig, softwareseitig und bei der Dateninfrastruktur unabhängig von der amerikanischen Vormachtstellung funktioniert.
Wenn man einmal in die Labore und Fabriken Chinas eintaucht, spürt man eher eine fast fieberhafte Betriebsamkeit als Verzweiflung. In Shenzhen, der Hightech-Schmiede des Landes, trifft man auf junge Entwickler, die Algorithmen für Gesichtserkennung, maschinelles Lernen und neuronale Netzwerke schnitzen, während ihre Chefs strategisch investieren, um das Getriebe zu synchronisieren – von Speicherchips bis zu Cloudplattformen, von industriellen Robotern bis hin zu ersten autonomen Fahrzeugen, die durch die Straßenschluchten von Shanghai und Peking navigieren.
An einer Wand im Innovationszentrum hängt ein riesiges Poster mit der Aufschrift „Made in China 2035“. Dort, so weiß jeder, steckt nicht nur ein Ziel technischer Modernisierung, sondern das Selbstverständnis, weltweit eine Führungsrolle einzunehmen. Die USA ziehen Grenzen, doch die chinesischen Akteure arbeiten mit einem fast akrobatischen Geschick daran, neue Brücken zu bauen – quer durch die eigenen Provinzen, über Ländergrenzen hinweg und in die digitale Zukunft hinein. „Es geht um Partnerschaften, um Investitionen in Forschung und Entwicklung, darum, eigene Standards zu etablieren“, sagt Dr. Liu Wei, ein KI-Forscher und Berater mehrerer Staatsbehörden. „Und ja, auch darum, die US-Hegemonie im Bereich der Hochtechnologie zu umgehen.“
Dabei wird schnell klar, wie eng politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen hier mit den technisch-wissenschaftlichen Entwicklungen verknüpft sind. Seit die USA nicht mehr bereit sind, certain Technologien zu exportieren – etwa kritische Halbleiterchips oder spezialisierte Softwaretools – sieht sich China gezwungen, eigene Lieferketten aufzubauen. Diese reichen vom Rohstoffabbau über die Produktion von High-End-Chips bis hin zu Forschungslabors, in denen an der nächsten Generation neuronaler Netzwerke gefeilt wird.
Doch darüber hinaus entsteht ein kultureller Paradigmenwechsel: weg von der Kopie westlicher Modelle, hin zur Innovation aus dem eigenen Kontext heraus. Die Start-up-Szene blüht, junge Unternehmer treiben neue Geschäftsmodelle voran, während staatliche Förderprogramme künstlich intelligentes Wachstum applizieren. Es ist ein Tanz zwischen öffentlicher Planung und individueller Kreativität – ein Balanceakt, der nicht immer reibungslos gelingt.
In einem Café nahe dem alten Universitätshauptgebäude in Peking sinniert Chen Ming, ein Data-Scientist mittleren Alters, über diese Entwicklung: „Früher war China der Werkbank der Welt. Heute wollen wir das intellektuelle Zentrum sein. Das ist aber nicht nur eine technische Revolution, sondern auch ein gesellschaftlicher Sprung. Wie reifen wir als Gesellschaft, wenn Maschinen mehr können als wir selbst?“ Seine Stimme verliert sich beinahe in der Geräuschkulisse, doch die Frage bleibt hängen: Was bedeutet es, wenn Künstliche Intelligenz die Türen öffnet zu neuen Möglichkeiten – und zugleich alte Kontrollmechanismen ins Wanken bringt?
Die Bevölkerung selbst nimmt die rasante Entwicklung mit einer Mischung aus Staunen und Zurückhaltung wahr. In den Straßen Pekings, Guangzhous und Shenzhens begegnet einem oft ein spielerischer Umgang mit KI: Anwendungen, die die Fotos schöner machen, Überwachung, die unsicherheit schafft, oder soziale Bewertungssysteme, die das Verhalten steuern. Manche fühlen sich dadurch bevormundet, andere sehen darin Fortschritt und Sicherheit. Diese Ambivalenz spiegelt eine Gesellschaft, die sich zwischen Digitalisierung und Menschlichkeit noch versucht zurechtzufinden.
Obwohl Washington versucht, diesen groß angelegten KI-Traum zu bremsen, scheint die Geschichte auf eine neue Erzählung hinauszulaufen – eine, in der China seine eigene technologisch-kulturelle Identität schärft. Bis irgendwann auf dem Plan wieder neue Kapitel geschrieben werden, an denen KI nicht mehr als bloße technische Errungenschaft, sondern als gesellschaftlicher Katalysator verstanden wird. Inmitten von Zahlenkolonnen, Maschinenrauschen und strategischen Kalkulationen zeigen all jene Akteure, Programmierer, Unternehmer und Wissenschaftler das Bild eines Landes, das trotz der Einschränkungen beharrlich baut. Nicht nur eine Maschine, sondern ein eigenes Universum.