In den verschachtelten Hinterzimmern des Marvel-Universums, dort, wo Superheldenstürme kulminieren und fantastisches CGI-Meisterwerk auf menschliche Handwerkskunst trifft, entfaltet sich eine Geschichte, die eher selten erzählt wird: die Geschichte der Stoffe, Farben und Schnitte, die selbst die größten Helden in ein glaubwürdiges Gewand hüllen. Es ist eine Geschichte von Weberkämmen und Schnittmustern, von italienischer Seide und dreidimensionalen Puppen, die mehr tragen als nur Kostüme – sie tragen Identität, Haltung und manchmal sogar ein Stück Nostalgie.
Melissa Pristine, die Verantwortliche für die Textilforschung hinter den ikonischen Anzügen der überraschenden Marvel-Produktion „First Step“, hatte das Privileg, sich mit einem erklecklichen Budget einem scheinbar banalen, doch im finalen Effekt geradezu magischen Bereich zu widmen: der Suche nach dem perfekten Garn. „Ich konnte viele Garne testen, um zu sehen, was am besten funktionierte, welchen Stretch wir brauchten und welches auf der Leinwand am besten aussah“, berichtet sie aus ihrem Labor zwischen italienischen Spinnereien und High-Tech-Faserinnovationen. Filati Be.Mi.Va, ein Traditionsunternehmen im Bereich feiner Strickwaren, wurde zu einer Art heimlichem Helden dieser Story. Denn wie so oft erstaunt es, wie viel Detailverliebtheit und technisches Know-how hinter einem Stück Stoff stecken, das in wenigen Sekunden Film so selbstverständlich wirkt wie ein Handschlag.
Die Produktion entschied sich für ganze 90 Anzüge – rund 30 für jeden menschlichen Charakter. Ein besonderes Schmuckstück steht dabei exemplarisch für ihre Sorgfalt: Der winzige Mini-Supersuit für Baby Franklin Richards, komplett mit winzigen Krabbelschuhen, deren winzige Maschen fast poetisch anmuten im Kontrast zum galaktischen Superhelden-Drama. Wer sich fragt, wie das wohl aussieht, wenn ein solches winziges Kunstwerk auf einer supersymbolischen Leinwand inmitten epischer CGI-Schlachten auftaucht, darf sich vorstellen, wie kostbare Detailarbeit mit kindlicher Zerbrechlichkeit zusammentrifft.
Doch „First Step“ ist eben mehr als nur eine Superhelden-Saga. Unter all den fantastisch ausstaffierten Helden gibt es eine Figur, die ganz besonders heraussticht: The Thing. Ebon Moss-Bachrachs kolossale Motion-Capture-Figur verlangt nach Kleidungsstücken einer ganz eigenen Dimension – buchstäblich. „Man kann keine Strickware in dieser Größe kaufen“, erklärt Pristine. Also entstanden für ihn überdimensional große V-Pullover, an die ein Schneider eigens ein Schnittmuster lieferte. Ein Ensemble, das nicht nur den visuellen Überraschungsmoment bietet, sondern den Zwiespalt zwischen digitaler und analoger Realitätsfuge in diesem Kinojahr wunderbar illustriert.
Dass The Thing am Set kein bloßes Pixelmonster war, sondern eine physische Präsenz mit Modebewusstsein, verdankt sich auch Jen Lewis. Die Hutmacherin erhielt ein gigantisches 3D-Modell von The Things Kopf, um dem Koloss eine beeindruckend rustikale Filztrilby und eine Brooklyn Dodgers Baseballmütze zu verpassen – ganz im Stile eines echten New Yorkers. Diese physische Realität der Kostüme ist essenziell, weil sie in der Postproduktion nahtlos mit digitalen Elementen verschmolzen werden muss. „Es gibt kein festgelegtes Rezept, wie man praktische Kleidung für digitale Charaktere erstellt“, erklärt Lewis. „Alles ist eine Mischung aus handgemacht und digital, und das aufeinander abgestimmt.“
Der britische Schneiderbetrieb Taillour hatte eine ähnliche Erfahrung, als er sich mit der Maßanfertigung der großen Anzüge für The Thing beschäftigte. Die Cutterin Soizic Quentin de Coupigny musste konventionelle Schneidertechniken völlig neu denken, um auf dieser außerirdischen Körperform realistische Passformen entstehen zu lassen. „Man musste alle bisherigen Regeln über Bord werfen“, sagt Designerin Byrne. „Die Anzahl und Platzierung der Nähte waren völlig neu. Vielmehr noch: Wir entschlossen uns, viele einfache Stoffe zu verwenden, um Unsichtbares zu verbergen.“ Doch der mutige Griff zu einem kräftigen karierten Stoff, der zu einem markanten roten Jacket verwandelte, entpuppte sich als Meisterstreich. „Es hätte ausufern können in einem Chaos aus schiefen Diagonalstreifen“, erinnert sich Byrne, „aber Soizic hat daraus ein Kunstwerk gemacht.“
The Things Garderobe ist ein kleiner, überraschender „menswear hit“ der Produktion: Vom kornblumenblauen Crewneck bis zu den schmal geschnittenen Selvedge-Jeans, von der zweifarbigen Gabardine-Jacke bis zum houndstooth Strickweste. Doch am eindrücklichsten sind jene Red Wing Boots, schwer und massiv, mit schweren Sohlen, die Geschichten erzählen von festen Schritten und mühsamem Alltag in einem beängstigend ungewöhnlichen Körper. Byrne erzählt eine kleine Anekdote, die ein großes Verständnis für Details offenbart: „Ich glaube, Reed hat einen Schuster gesucht und gesagt: ‚Er liebt diese Schuhe, machen Sie ihm bitte ein Paar.‘ Denn The Things Hände wären schlicht nicht in der Lage, Schnürsenkel oder Knöpfe zu schließen. Das alles hatte Einfluss darauf, wie wir seinen Stil denken und gestalten mussten.“
Die feinsinnige Kombination aus handwerklicher Perfektion, präziser digitaler Umsetzung und einer sprechenden Ästhetik schafft eine neue Ebene filmischer Immersion. Und gerade in einem Blockbuster, der sich oft in spektakulären Effekten verliert, interessiert hier das Gegenteil: das Greifbare, das Stoffliche, die menschliche Note im Gewand der Superhelden. Ob Baby Franklin oder der von Felsenhaut überzogene Gentlemen-Idol: Das Modebild zeigt sich nicht als bloßer Kosmetikakt, sondern als Quelle der Geschichte und Charakterzeichnung.
Bleibt die Frage, ob mit dem Wechsel ins größere, noch bepacktere MCU-Kollektiv dieser liebevolle Retro-Charme erhalten bleibt – oder ob die spannenden Kleiderexperimente im Schatten der gewaltigen Avengers episch untergehen. Für alle, die mit scharfem Blick hinsehen, ist die Verflechtung von Stoff und Superkraft längst kein Nebenschauplatz mehr, sondern eine Bühne eigener Dramatik – eine Einladung, Mode nicht nur als Schutz der Haut, sondern als visuelle Rüstung der Seele zu verstehen. Ein Gedanke, der noch lange nach dem Abspann nachhallt.