Im Zwielicht der Worte: Wie Forscher im Schatten politischer Kämpfe ihre Sprache neu erfinden
An einem grauen Nachmittag in einem unscheinbaren Büro irgendwo in den USA sitzt Dr. Elaine Patterson vor ihrem Bildschirm. Draußen taumeln die letzten Blätter im Wind, drinnen formt sich im Kopf ein Satz um den anderen, während sie die Förderanträge für ihr neuestes Forschungsprojekt über soziale Ungleichheit überarbeitet. Nicht weil die Wissenschaft selbst neuerdings komplizierter wäre, sondern weil jede Formulierung, jedes noch so kleine Wort über Diversity, Equity & Inclusion (DEI) mit Kalkül geprüft wird. Die federführende Bundesbehörde, in deren Händen das Geld für vielversprechende Forschung liegt, hat unter der Trump-Administration rigorose Maßstäbe gesetzt — und das verändert mehr als nur die Sprache der Antragsteller.
Was einst ein selbstverständlicher und freimütiger Teil der akademischen Sprache war, gleicht heute einem Tanz ums sprichwörtliche heiße Eisen. Die gesellschaftlichen Debatten um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, die in der Wissenschaft längst als Notwendigkeit betrachtet werden, gerieten in den vergangenen Jahren ins politische Kreuzfeuer. DEI, einst ein unbeirrbar hoffnungsvolles Konstrukt, wurde von der damaligen Regierung als ein rotes Tuch gesehen, das man besser nicht sichtbar reiben sollte, wenn man nicht riskieren wollte, aus dem Fördertopf herauszufallen.
Man könnte sagen, dass die Forschung auf eine merkwürdige Art musste lernen, sich zu verstecken. Sprachlich wird auf einmal improvisiert und balanciert: Wo früher von systemischer Benachteiligung die Rede war, heißt es nun „strukturelle Herausforderungen“. Diversity wird umschifft, häufig durch abstrakte Begriffe oder breit gefasste Formulierungen zu „vielfältigen Perspektiven“. Hinter diesen sprachlichen Attitüden versteckt sich jedoch nicht nur Vorsicht, sondern auch eine Art resignative Kreativität – ein mühsames Jonglieren zwischen wissenschaftlicher Integrität und politischer Überlebensstrategie.
Das eigentümliche Schauspiel erinnert an ein Theaterstück, in dem die Schauspieler ihre Texte ständig ändern müssen, weil ein unsichtbarer Regisseur neue Anweisungen erteilt. Die Forschungsgemeinschaft, die man gemeinhin als Ort für offene Diskurse und kritische Reflexion betrachtet, sieht sich plötzlich genötigt, Sprachcodes zu entwickeln, die möglichst wenig Anlass zur Kritik bieten. Ein und dieselbe Idee wird unter verschiedenen Namen vorgetragen, als würde man einem missgünstigen Nachbarn unbedingt vermeiden wollen, ins Auge zu fallen.
Dies ist kein rein hypothetisches Szenario. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten von den wortklauberischen Begegnungen mit Fördereinrichtungen, bei denen selbst ein harmloses Wort wie „Equity“ auf die Gefährlichkeit einer politischen Agenda rückverfolgt wird. Förderanträge werden in solchen Fällen nicht nur gelesen, sondern regelrecht seziert – und manchmal zurückgeschickt mit der Aufforderung, unbequeme Begriffe zu streichen oder durch neutrale Termini zu ersetzen. Die notwendige Anpassung geht bis dahin, dass ganze Passagen, die bislang mit Stolz als Bekenntnisse zu sozialer Verantwortung formuliert wurden, plötzlich wie ein geheimes Versteck wirken.
Dr. Patterson, neben vielen anderen in den Wissenschaftsetagen, fühlt sich dadurch in die Defensive gedrängt. „Es ist so, als würden wir uns wissenschaftlich verpflichten, eine unsichtbare Mauer zu umschiffen“, seufzt sie. Dabei ist es nicht so, dass der Wunsch nach Diversität und Gerechtigkeit plötzlich verschwunden wäre. Im Gegenteil, der Einsatz für gerechte Chancen, gegen Ausschlussmechanismen und systemische Fehler der Gesellschaft ist vielerorts ungebrochen – nur dass man heute vorsichtiger agiert. Jeder Satz wird zur diplomatischen Übung, jeder Antrag zum sprachlichen Balanceakt.
Inmitten dieser Entwicklung zeichnet sich auch eine Hoffnung ab. Seit dem Regierungswechsel hat sich das Klima zwar etwas gelockert, und manche euphemistischen Wortwenden wurden zurückgenommen. Doch die Spuren des Zwanges bleiben sichtbar wie die Dellen auf einer einst makellosen Fassade. Bei manchen Wissenschaftlern wächst mittlerweile die Sehnsucht nach einer Zeit, in der Worte noch frei ausgesprochen werden konnten – ohne Angst, stigmatisiert oder politisch ausgegrenzt zu werden. Denn Sprache ist mehr als reine Kommunikation: Sie ist Ausdruck von Haltung und Größe eines Diskurses.
Zum Schluss bleibt ein bittersüßer Geschmack: Die Forschung spiegelt nicht nur das gesellschaftliche Klima wider, sie ist selbst Teil davon – und muss sich daher immer wieder neu synonymisieren, um bestehen zu können. Das Image einer ungebundenen, fortschrittlichen Wissenschaft wird dadurch zwar nicht zerstört, aber verschleiert. Hinter den angeblichen Euphemismen steckt eine stille Rebellion gegen einen Umgangston, der mehr verbietet als er ermöglicht.
Dr. Patterson macht den Bildschirm aus. Ihre Worte mögen heute polizeilich überwacht werden. Doch im Kopf klingt noch immer ein Satz, den sie früher öfter gesagt hat und der ungebrochen bleibt: Wissenschaft für alle. Ganz ohne Umwege.